Die Eifelgraefin
früh am Frühstückstisch zu sehen. Sein Anblick löste in ihr die widersprüchlichsten Gefühle aus, und das stärkste darunter war Nervosität. Sie musste sich sehr zusammenreißen, damit ihre Hände nicht zitterten, während sie sich Saft eingoss. Warum, zum Teufel, war er heute hier? Reichte es nicht, dass sie auch ohne seine Anwesenheit ständig an ihn denken musste? Nun saß sie auch noch genau neben ihm – nach dem, was bei ihrem letzten Zusammentreffen vorgefallen war, empfand sie seine Gegenwart fast schon als bedrohlich. Doch um nichts in der Welt wäre sie auch nur einen Fingerbreit von ihm abgerückt. Diese Genugtuung würde sie ihm auf keinen Fall geben.
Johann spürte ihr Unbehagen geradezu körperlich, und es ärgerte ihn. Er war selbst schuld, dass sie derart abweisend auf ihn reagierte. Vermutlich hatte er ihr neulich noch mehr Angst gemacht als sich selbst. Und die kurze Begegnung vor dem Hurenhaus hatte ihrer Meinung über ihn wahrscheinlich den Rest gegeben. Das war nun nicht mehr zu ändern. Verwundert stellte er fest, dass er es dennoch gerne rückgängiggemacht hätte. Resigniert wandte er sich Simon zu, um ihn nach dessen Plänen für den Winter zu befragen.
Elisabeth brachte nur wenige Bissen ihres Getreidebreis herunter, aß Hedwig zuliebe noch ein Ei und entschuldigte sich dann mit der Ausrede, dringend mit Bruder Georg sprechen zu müssen.
Der Benediktiner hatte heute nicht am Frühstück teilgenommen, weil er mit einem Knecht die Kapelle für die Adventszeit vorbereitete. Dort stand er auf einem Holzblock und befreite mit einem Besen die Wände und Ecken des kleinen Andachtsraumes von Spinnweben.
«Ist das nicht eine Aufgabe für den Knecht oder eine Magd?», fragte sie erstaunt.
Bruder Georg blickte über die Schulter zu ihr herab. «Keineswegs, mein Kind. Der Hände redliche Arbeit ist nur allzu gottgefällig, will ich meinen. Außerdem bin ich größer als der Knecht und komme bis in die Ecken hinauf.» Zum Beweis hob er den Besen und kehrte damit noch einmal über die hohe Decke der Kapelle. «Was führt Euch zu mir, mein Kind? Ihr seht besorgt aus.»
«Das bin ich auch, Bruder Georg. Ich muss dringend mit Euch sprechen. Allein», fügte sie mit einem Blick auf den Knecht zu. Der verbeugte sich linkisch. «Ich geh mal nachsehen, ob Thea die Altarsachen schon poliert hat», sagte er und zog sich eilig zurück.
Bruder Georg stieg von seinem Holzklotz herunter. «Nun wären wir allein. Also sprecht, Elisabeth. Um was geht es?»
***
«Und Ihr glaubt, Ihr findet einen Hinweis auf das Kruzifix?», fragte sie zwei Stunden später, als sie ihn zum Burgtor begleitete.
Der Benediktiner zuckte mit den Schultern. «Ihr habt Simon gehört. Wenn es noch irgendwo alte Dokumente gibt, in denen dergleichen erwähnt wird, dann müssten sie sich im Kirchenarchiv befinden. Ich gehe hinunter in die Stadt und spreche bei Vater Ambrosius vor.»
«Aber das Kruzifix hat diese merkwürdigen Eigenschaften doch erst, seit wir es wieder mit dem Rahmen zusammengefügt haben. Glaubt Ihr wirklich, darüber steht etwas in irgendwelchen alten Urkunden?», wandte Elisabeth skeptisch ein.
«Das kann man nicht wissen», antwortete er bedächtig. «Zumindest könnten wir einen Hinweis darauf finden, woher es stammt oder wem es ursprünglich einmal gehörte. Wir werden sehen», sagte er begütigend, als sie erneut etwas einwenden wollte. «Eine Reliquie mit derart auffälligen und wundersamen Eigenschaften hinterlässt im Allgemeinen Spuren in der Geschichte, glaubt mir. Wir müssen sie nur finden.»
«Ich wünsche Euch Glück.» Elisabeth winkte ihm kurz nach, während er den Zwinger hinabging, und drehte sich dann um. «Oh.» Nicht weit von ihr entfernt stand Johann, der seinen Falben am Zügel führte. Offenbar war auch er gerade im Aufbruch begriffen. Da er jedoch sehr ruhig dastand, runzelte sie argwöhnisch die Stirn. «Habt Ihr uns belauscht?»
Johann sah sie kühl an. «Wie käme ich dazu?» Natürlich hatte er ein paar Fetzen ihrer Unterhaltung mit dem Geistlichenmitbekommen, war jedoch nicht klug daraus geworden.
«Ihr reitet fort?», fragte sie.
Johann nickte. «Vor dem Frühling werde ich wohl nicht mehr nach Kempenich kommen. Wenn erst Schnee gefallen ist … Außerdem muss ich mich um meine eigenen Ländereien kümmern.»
«O ja, gewiss, das ist sehr wichtig.» Elisabeth hätte sich ohrfeigen können. Warum nur fiel ihr nichts Kluges ein? Ihr Kopf war schon wieder völlig leer!
Johann
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