Die Eifelgraefin
schneien angefangen und jetzt …» Verzagt drehte sie den Kopf und wies auf das Fenster, von dem aus eine weiße, tiefverschneite Landschaft zu sehen war. Der Himmel war grau verhangen und versprach noch weitere Schneefälle für den heutigen Tag.
«Ich weiß, Luzia, und ich verstehe dich gut. Sobald das Wetter besser wird, bitte ich Simon um Reitpferde und Begleitung; dann reiten wir gemeinsam nach Blasweiler. Das verspreche ich dir.»
«Das würdet Ihr tun, Herrin?» Luzias Augen leuchteten hoffnungsvoll auf. «Aber ich kann auch laufen. So weit ist es ja gar nicht. Ungefähr zwei Stunden, bei hohem Schnee vielleicht auch drei.»
«Nein, auf keinen Fall möchte ich, dass du ganz allein durch den Wald läufst, Luzia!» Elisabeth schüttelte den Kopf. «Das ist viel zu gefährlich. Du könntest stürzen unddich verletzen und dann im Schnee erfrieren. Oder Wegelagerern begegnen. Nein, wenn du nach Blasweiler möchtest, dann reiten wir.» Sie setzte sich neben ihre Magd auf die Bettkante. «Sobald das Wetter es zulässt.»
***
«Mein liebes Kind, ich glaube, ich bin fündig geworden», berichtete Bruder Georg am Abend desselben Tages nach dem Abendessen. Hedwig hatte sich wegen einer Erkältung bereits in ihre Kammer zurückgezogen, und die Mädchen waren zu Bett geschickt worden. Da Simon an diesem Abend mit dem Bürgermeister von Kempenich in dessen Haus speiste, saßen Elisabeth und ihr Beichtvater nun allein im beheizten Speisezimmer beisammen.
Erfreut sah Elisabeth den Benediktiner an. «Ihr habt eine Urkunde gefunden, in dem das Kruzifix erwähnt wird?»
«Keine Urkunde, sondern einen Brief», berichtigte Bruder Georg.
Elisabeth erhob sich. «Wartet bitte, ich möchte gerne Luzia hereinrufen. Immerhin gehört das Kruzifix ja auch ihr, also gehen die Neuigkeiten sie ebenfalls etwas an.»
«In Ordnung.» Bruder Georg nickte zustimmend und wartete, bis Elisabeth nach Luzia gerufen und diese sich – einigermaßen überrascht und etwas verlegen – mit an den Tisch gesetzt hatte. Dann berichtete er: «Den Brief, von dem ich sprach, fand ich in einer alten Truhe im Archiv der Kempenicher Kirche.» Er griff in den Ärmel seines Habits und zog ein mehrfach gefaltetes und an den Kanten leicht angeschimmeltes Pergament daraus hervor. Sehr vorsichtigentfaltete er es und deutete dann auf den Rest eines Siegels, mit dem das Schriftstück ursprünglich einmal verschlossen gewesen zu sein schien. «Leider kann man nicht mehr viel erkennen», sprach er weiter. «Das Siegel ist unleserlich geworden. Ich vermute aber, dass es sich um das Siegel eines von Herrn Simons Vorfahren handelt, denn der Absender des Briefes unterzeichnet mit dem Namen Arnold von Wied. Datiert ist der Brief auf den neunzehnten Oktober 1148.» Bruder Georg hielt bedeutungsvoll inne und fuhr schließlich fort: «Ich habe mich vergewissert, dass Name und Datum stimmen – Arnold von Wied war zu der Zeit, als Eure Vorfahren sich auf dem Kreuzzug ins heilige Land befanden, ein bedeutender Mann.» Er blickte Elisabeth und Luzia nacheinander an. «Er war Reichskanzler unter König Konrad und später auch Erzbischof von Köln.»
«Und was schreibt er nun in diesem Brief?», fragte Elisabeth ungeduldig nach.
Der Benediktiner strich das Pergament glatt. «Er schreibt etwas über seine Rückkehr aus dem Heiligen Land, und dass sein Bruder Radulf sich entschlossen habe dortzubleiben. Dieser Bruder trug Arnold jedoch offenbar im Namen seines Eides, den er im Angesicht des Kruzifixes geleistet hatte, auf, ihren gemeinsamen Vetter Siegfried von Kempenich aufzusuchen und ihn zu bitten, den leibeigenen Bauern und tapferen Soldaten Jost Bongert für seine Verdienste zu ehren, zu befreien und für die Zukunft unter seinen Schutz zu stellen.»
«Deinen Ahnvater», sagte Elisabeth und lächelte Luzia zu. «Dann ist die Geschichte also wahr.»
Luzia nickte und betrachtete ehrfürchtig das alte Pergament.«Aber was ist nun mit dem Kruzifix?», hakte sie nach. «Steht noch mehr darüber in dem Brief?»
Bruder Georg schüttelte den Kopf. «Leider nicht. Aber ich vermute, dass es sich um jenes – Euer – Kruzifix handelt. Zwar kann es sich auch um eine Phrase handeln, mit der er auf das Kreuz Christi allgemein verweist, doch im Angesicht der Umstände glaube ich eher, er spricht tatsächlich von dem Silberkreuz.»
«Mir fällt da etwas ganz anderes auf», warf Elisabeth nachdenklich ein. «Dieser Arnold schreibt von seinem Bruder – Radulf, nicht wahr?
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