Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)
Marek nicht ständig in diese Rüschenfolklore reingezwungen hätte, wäre vielleicht einiges anders gelaufen bei ihm.«
»So ein Schwachsinn«, sagt Simon. Er hält das nackte Ei auf Armeslänge entfernt und betrachtet es unschlüssig. Brauchen Männer in seinem Alter nicht schon eine Lesebrille? »Wenn, dann hat deine Mutter ihm unabsichtlich den Weg zu seiner Leidenschaft geebnet. Ist er glücklich mit seinem Leben?«
»Er hat letztes Jahr seinen Spießerfreund Helmut geheiratet. So nennt Marek ihn, Spießerfreund. Helmut hat ihn vom Koks runtergebracht. Jetzt sitzen sie da und überlegen, ob sie ein Baby adoptieren wollen. Doch, ich glaube, im Moment findet mein Bruder sein Leben ziemlich gut.«
»Komm mal rüber«, sagt Simon zu mir und legt das Ei endgültig zur Seite. »Du bist so weit weg. Ich mach auch vorher alles sauber für dich.«
Ich warte noch, bis er seine Frühstücksspuren beseitigt hat, und dann krieche ich zum Kopfende und lege mich in seinen Arm. Ich ignoriere die Irritation auf meiner Haut, weil ich mir nicht sicher bin, ob es nicht auch so eine Art Phantomjucken sein könnte, ausgelöst durch meine Erwartung, auf Krümeln zu liegen. Nichts ist mir momentan suspekter als feste Nahrung. Ich kenne das Gefühl. Man kann nicht mehr richtig tief einatmen bei diesem Gefühl. Das Gefühl entsteht, weil einem ständig das Zwerchfell flattert und das Gehirn mit Hormonen in Rosenblattform zugeschüttet wird.
»Danke fürs Milasein«, sagt Simon.
Ich muss mir unbedingt dieses Buch besorgen, von dem er mir erzählt hat. Er wird nie wieder den Titel in seinem Regal ansehen können, ohne an mich zu denken.
»Und für dein großes Herz.«
Großes Herz, ja.
»Und ich wünsche mir so sehr, dass unser Abschied morgen leicht und heiter wird.«
Mein großes Herz erstarrt. Siehste, sagt der Verstand, wir wollten das doch noch mal überprüfen. Jetzt sachlich bleiben. Nachfragen. Was genau meint er damit?
»Hast du nicht eben gesagt, mit deinem wirren Geist würdest du vorerst keine Entscheidungen für die Zukunft treffen?«
»Redest du von solchen Entscheidungen wie: Will ich meine Frau verlassen? Oder: Will ich meine Liebesgeschichte mit dir fortsetzen?«
»Zum Beispiel«, sage ich, als gäbe es noch unzählige weitere Dinge zu entscheiden.
»Das stand nie zur Diskussion, Mila«, sagt Simon. »Ich will mich nicht von Connie trennen. Ich will auch meinem Kind so was nicht antun. Und ich weiß, dass ich nicht der Typ für eine Nebenbeziehung bin. Mir fehlt die Kraft dazu.«
»Moment«, sage ich und mische einen Hauch Irene unter meine Stimme. »Bis letzte Woche hättest du noch behauptet, du wärst auch nicht der Typ, der nach einem Seminar eine Frau anspricht und sie ins Hotel einlädt.«
Simon lacht und sagt: »Stimmt.«
»Also weiß man es nie, bevor man es nicht ausprobiert hat.« Das klingt nicht nach Irene, sondern nach einer Zwölfjährigen, die irgendeine dumme Mutprobe provozieren will.
»Was soll ich denn ausprobieren, Mila? Wie es ist, mich alle paar Monate mit dir heimlich auf einer Geschäftsreise zu treffen? Wie es ist, dir leidenschaftliche E-Mails zu schreiben, wenn Frau und Kind schlafen? Und du, willst du auf meine Anrufe warten und die Wände hochgehen, wenn ich mich längere Zeit nicht melde? Allein in deiner Wohnung sitzen und rumphantasieren, was ich wohl gerade mit meiner Familie mache? Ich gebe zu, ich habe keine Erfahrung mit so was, aber man muss diesen Wahnsinn auch wollen, und ich will ihn nicht.«
Aber du hast doch gesagt, dass du mich liebst . Ich schäme mich so, dass genau dieser erbärmliche Satz von allen denkbaren Antworten als Erster das Rennen macht, aber wenigstens habe ich genügend Verstand, ihn nicht auszusprechen. Stattdessen sage ich: »Aber es ist schon schade um uns, nicht? Als würde man ein tolles Geschenk einfach in die Tonne treten.«
»Niemand tritt hier irgendetwas in die Tonne, Mila.« Bilde ich mir das ein, oder klingt er jetzt etwas genervt? »Du hast gestern gesagt, du wüsstest, dass es mit uns nicht weitergeht. Und dass es in Ordnung für dich wäre.«
»Es ist immer noch in Ordnung. Und es tut weh.«
»Das ist wahr. Ich hätte auch nicht damit gerechnet, dass es so weh tun würde.«
»Aber du wünschst dir einen leichten und heiteren Abschied morgen.«
»Ja, den wünsche ich mir«, sagt Simon. »Hättest du denn lieber einen anderen?«
Wir schweigen. Was Simon sagt, ist richtig, und vor allem ist es ehrlich. Mein großes Herz begreift
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