Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)
sie scannt Altpapier gleich vor Ort nach Nützlichem und ahnt wohl, wer von uns diese Weisheit gerade nötiger hat.
»Da haben Sie recht, das sollte man aufheben«, sage ich und nehme die Broschüre wieder entgegen. Willkommen zurück, Lydia. »Vielen Dank.«
»Gerne«, sagt Frau Papic und wendet sich zum Gehen. Ich finde es hochanständig von ihr, dass sie wartet, bis sie fast draußen ist, bevor sie mir zuruft: »Ich mache auch Yoga!« Die Tür steht noch offen, ich höre sie im Flur mit ihren Geräten herumhantieren und dann, wie ihr Fuhrpark sich scheppernd in Bewegung setzt. Als sie die Tür schließt, schickt sie mir noch ein begeistertes »Sonnengruß!« ins Zimmer. Es ist die einzige Yogaübung, die ich kenne, aber bei Frau Papic klingt es wie eine Parole aus der Waldorfschule.
Nichts zu wollen kann man nicht wollen. Man kann das Wollen nur sein lassen. Ich stecke Lydias Broschüre wieder in meine Handtasche. Es ist Viertel vor zwei. Morgen um diese Zeit bin ich wahrscheinlich schon wieder zu Hause. Man sollte nicht nur das Wollen, sondern auch das Rechnen sein lassen. Eigentlich ist dies genau der Zustand, für den das Meditieren erfunden wurde, aber schon bei dem Gedanken bricht Panik in mir aus. Ich kann das jetzt nicht. Ich muss nachdenken. Ich muss über das Loslassen nachdenken. Ich muss den Fakten ins Auge sehen und anerkennen, was ist, oder auf der Stelle meine Sachen packen und von hier verschwinden. Kein Jammern mehr. Jammern ist für die Autobahn. Keine Hoffnungen, keine Deals, keine Tricks, keine Fallen. Ohne Deckung und ohne Mauern. Entweder Flucht oder Hingabe.
Simon meint es ernst. Es ist nicht schwer, das zu begreifen. Viel schwerer ist, nicht einfach abzutun, dass er es auch ernst mit mir meint. Da ist nichts Beliebiges in seiner Zuneigung, nichts Abwägendes oder Zerstreutes. Er macht mir nichts vor. Wenn, dann mache ich ihm etwas vor. Ja, natürlich ist es in Ordnung, dass es mit uns nicht weitergeht. Es ist so sehr in Ordnung wie die Tatsache, dass es abends dunkel wird, dass draußen Scheißwetter ist und dass jeder irgendwann mal sterben muss. Warum musste ich das gestern ungefragt hinausposaunen und die kluge Geliebte geben? Weil ich ihm gefallen wollte. Weil ich ihm signalisieren wollte, hey, entspann dich, bei mir bist du sicher. Wenn ich dir schon meine Gefühle gestehe, dann tu ich das nur, indem ich gleichzeitig klarmache, wie sehr ich deine Freiheit schätze. Ich bin nämlich die tolle Mila, die nur in der Gegenwart wohnt. Scheiß doch auf morgen. Alles kommt, alles geht, alles wandelt sich, haben wir doch gerade an diesem Wochenende gelernt, oder etwa nicht?
So wäre ich gern, genau so. Großzügig und weise. Wenn ich großzügig wäre und mal nichts mehr zu geben hätte, würde sich meine Weisheit sofort einschalten und mich daran erinnern, dass man Gegengeschenke nicht einfordern kann. Ich hole Lydias Yogabroschüre noch einmal aus meiner Handtasche. Das Wollen sein lassen. Wenn man das nicht als »Finger weg« versteht, sondern als »zulassen«, gewinnt der Satz enorm an Leichtigkeit. Hallo Wollen, altes Haus, da bist du ja wieder, komm, setz dich zu den anderen, die Angst und die Dummheit sind auch schon da, jetzt spielt mal schön. Die Erwachsenen legen derweil die Karten auf den Tisch.
Ich bin verliebt. Ich bin in einen Mann verliebt, der ganz eindeutig nicht vom Schicksal dazu bestimmt wurde, mir und nur mir allein sein Herz zu Füßen zu legen. Wenn ich nicht wüsste, dass diese Geschichte morgen nach dem Aufstehen tatsächlich ein Ende haben wird, wäre ich schon lange nicht mehr imstande, ganze Sätze zu bilden, so verliebt bin ich. Weil ich es aber weiß, bilde ich jetzt einen Satz, und der geht so: Ich akzeptiere das. Alles. Und ich bleibe bis zum Schluss. Ich will, dass es gut wird, so gut wie nur irgendwas, so gut, wie zwei wie Simon und ich es verdienen. (Ich stelle mir vor, wie das Wollen, die Angst und die Dummheit an dieser Stelle ihr Spiel unterbrechen und aufmerksam zuhören.) Also schön Freunde, dann alle mal aufgepasst: Mein Herz ist so groß und weit und offen wie ein Parabolspiegel, und ab morgen werde ich bestimmt nicht wissen, wohin mit dem Ding, aber was ich heute damit mache, das weiß ich genau. Meine Vagina fängt an zu singen, wenn ich an ihn denke. Ja, nimm dies, Angst! Meine Seele sitzt zusammen mit seiner Seele in einer Hollywoodschaukel. Sie wiegen sich vor und zurück und erzählen sich Geheimnisse. Reicht das? Okay, dann noch das hier:
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