Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)
nicht darüber nach. Ich hab kein Konzept für uns beide, Mila, und ich hab auch noch kein Konzept für hinterher. Ich habe mir gemerkt, was Gerald gesagt hat: Triff keine Entscheidungen, wenn dein Geist nicht ruhig und ausgeglichen ist. Mein Geist ist aber alles andere als ruhig und ausgeglichen.«
Er sagt: Ich habe noch kein Konzept für hinterher. Mein Herz macht einen Sprung. Es hört: Ich will dich vielleicht wiedersehen, Mila. Mein Körper hört irgendwas mit Sex. Mein Verstand traut dem Gehörten nicht und fordert eine Klarstellung, aber doch nicht jetzt sofort, sagt das Herz, noch ein bisschen träumen, sagt es, und die Runde geht ans Herz.
»Was hättest du eigentlich gemacht in diesen drei Tagen, wenn wir uns nicht getroffen hätten?«
Simon schneidet ein Brötchen auf, und ein weiterer Krümelregen prasselt auf das Laken herab.
»Antworten auf offene Fragen gesucht, nehme ich an. Ob ich meinen Job weitermachen will, zum Beispiel. Und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Oder ob ich meine Sachen packen und mit meiner Familie ins Ausland gehen sollte. Apnoe-Tauchen lernen. Mönch werden. Darüber nachdenken, ob ich endlich mal drei Tage mit einer tollen Frau in einem Hotelzimmer verbringen sollte.«
»Und womit hast du dir deinen Burn-out geholt?« Jetzt rächt sich, dass ich gleich zu Beginn die Small-Talk-Phase torpediert habe, in der man Krankengeschichten und berufliche Erfolge austauscht und dann ein für alle Mal Ruhe davor hat.
»Ich bin so was wie ein selbstständiger Berater für Führungskräfte in allen Personalfragen. Ich arbeite für eine große Firma, die Solaranlagen herstellt. Ethisch einwandfrei, und es ist wirklich ein guter Laden. Ich verdiene sehr gut. Und es frisst mich auf.«
»Soll ich dir was prophezeien? So, wie du darüber redest, wirst du gehen, jede Wette.«
»Ja«, sagt Simon und schiebt die Krümel auf dem Bettlaken zu einem akkuraten Häuflein zusammen. »Da könntest du recht haben. Und was arbeitest du so, nachdem du weder Verletzungsdouble noch Yogalehrerin bist?«
»Ich habe keinen richtigen Job.«
»Arbeitslos?«
»Nein. Ich bin die kleine Erbin eines halben Hippie-Im-periums, weißt du noch? Meine Eltern haben bestens vorgesorgt. Wenn ich mit meinem Geld gut haushalte, muss ich nichts dazuverdienen. Ich brauche nicht viel zum Leben.«
»Und was machst du dann den ganzen Tag?«
»Atmen. Und du?«
»Alles klar, Mila. Geht mich nichts an.«
»Ich zeichne«, sage ich etwas vage und überlege, ob ich das noch weiter ausführen soll. Simon nickt und lässt es so stehen. Er rechnet nach.
»Du und dein Bruder, ihr könnt tatsächlich vom Erbe eurer Eltern leben?«
»Ja. Wobei Marek sein Vermögen sogar noch vermehrt hat. Marek macht sein Geld an der Börse. Er kümmert sich auch um meinen Anteil, aber weil ich ihm verboten habe, damit rumzuspielen, ist es nicht mehr geworden. Aber auch nicht viel weniger. Ich seh vielleicht nicht so aus, aber ich bin eher der Sparkassentyp. Marek nicht. Marek ist cool. Er verdient ein Schweinegeld und steckt den größten Teil davon in Schwulenprojekte. Mein Bruder ist eine Dragqueen, jedenfalls nach Feierabend. Und stell dir vor, selbst meine Großmutter aus Legnica hat gewusst, dass ihr kleiner Sloneczko auf Männer steht.«
Über meine toten Eltern rede ich selten und ungern, aber von Marek zu erzählen ist mir immer wichtig gewesen. Einen Bruder wie Marek darf man nicht unterschlagen. Früher habe ich die Leute anhand ihrer Reaktion in Kategorien eingeteilt und bald festgestellt, dass mir die hippen Spontantoleranten, die einem sofort erzählen müssen, dass sie bei jedem Christopher Street Day am Straßenrand stehen und sich ganz doll mitfreuen, viel unangenehmer sind als nervöse Christen oder geschockte Muttis. Echte Homophobiker sind mir übrigens nie über den Weg gelaufen, dafür jede Menge Humoristen (»Dann spielt er wohl am liebsten Dame, was?«), Zotenreißer, Themenwechsler und Therapeuten. Als Therapeuten gebärden sich übrigens ausnahmslos alle, die etwas über unsere Familiengeschichte wissen oder zu wissen glauben.
Simon scheint zu keiner dieser Kategorien zu gehören. Simon schlägt sein Frühstücksei mit der Spitze gegen die Bettkante und beginnt es zu pellen. Das Eidotter schimmert bläulich unter der weißen Oberfläche hervor. Man muss kein Orakel sein, um zu wissen, dass dieses Ei so hart sein wird wie ein Meteorit.
»Weißt du, was manche Leute denken?«, sage ich. »Sie denken, wenn meine Mutter
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