Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)
dem Namensschild – in Begleitung ihres Putzwägelchens kann ihren genervten Gesichtsausdruck bei meinem Anblick nicht rechtzeitig verbergen. Mann, was macht die denn noch hier, der Typ ist doch weg . Ich springe auf und beteuere, dass das alles gar kein Problem wäre, kommen Sie rein, und Frau Papic sieht mich an, als würde sie mich für mein hektisches Getue ebenso verachten wie für meinen Müßiggang zu dieser Tageszeit. Recht hat sie, die Frau Papic. Vielleicht sollte ich ihr schnell verraten, dass auch in meinen Adern ein wenig slawisches Blut fließt, einfach um sie milder zu stimmen, denn sie macht mir Angst, wie sie jetzt die Badezimmertür aufreißt und unsere benutzten Handtücher und den Badvorleger in den Vorraum wirft, als wären sie radioaktiv verstrahlt.
Es wäre nicht das erste Mal in meinem Leben, dass ich vor einer Reinigungskraft an Orte fliehe, an denen ich eigentlich nicht sein will. Vielleicht ist das Weglaufen vor Frauen mit Putzeimern etwas, das die Menschheit kontinuierlich vorangebracht hat. Erfindungen unter der Treppe. Lyrik aus dem Kellerversteck. Leider glaube ich nicht, dass unten im Schatten des Wintergarten-Gummibaums die Erleuchtung auf mich wartet, und das ist die einzige Zuflucht, die mir momentan einfällt. Und darum beschließe ich, diese Begegnung mit Frau Papic hier an Ort und Stelle auszusitzen und nirgendwo anders.
Die Geräusche, die aus dem Bad zu mir dringen, klingen aufgebracht. Als Frau Papic den Müllbeutel hinausträgt und mich auf dem Bett liegen und lustlos mit der Fernbedienung des Fernsehers herumspielen sieht, macht sich Ungläubigkeit in ihrem Gesicht breit, aber nicht der Hass, den ich erwartet habe. Ja, Frau Papic, ich kann es auch kaum glauben, aber ich weiß nicht, wohin ich sonst gehen soll. Ich bin der Besuch von Herrn Zimmernummerdreiundzwanzig, mein eigentlicher Platz in der Welt liegt etwa drei Autostunden von hier entfernt, aber jetzt bin ich nun mal da, und ich werde bleiben, egal, was Sie davon halten. Ich sage: »Tut mir leid, wenn ich Sie bei der Arbeit behindere«, mehr fällt mir dazu nicht ein, aber es sieht so aus, als wäre heute Frau Papic dran mit Erleuchtung und nicht ich, denn sie sieht mich plötzlich etwas freundlicher an und nickt und kehrt zurück ins Badezimmer und hinterlässt mich mit dem Gefühl, hier wenigstens geduldet zu sein. Als sie das nächste Mal herauskommt, um ihre Putzutensilien zu holen, lächeln wir uns bereits vorsichtig zu. Ich versuche, ihr Alter zu schätzen, was mir nicht leichtfällt. Sie hat eine seltsame Frisur, ihre dichten schwarzen Haare wurden schon länger nicht mehr gefärbt und sehen durch den nachwachsenden weißen Haaransatz aus, als würde sie eine Dachshaube tragen. Sechzig vielleicht?
Als ich merke, dass sie fertig ist mit dem Reinigen des Bads, biete ich ihr an, die restliche Zeit dort (ich stelle mir vor: auf dem Klodeckel sitzend) zu verbringen, damit sie ungestört das Zimmer sauber machen kann. Frau Papic weist meinen Vorschlag zurück, indem sie so energisch den Kopf schüttelt, dass ihre Dachshaube wogt, und zeigt auf einen der Sessel. Bevor sie den Servierwagen vor die Tür fährt, arrangiert sie sorgfältig die Reste vom Frühstück auf einem Teller und reicht ihn mir mit einer Miene, die mich an Elli erinnert und die keinen Widerspruch erlaubt. Sie hebt Simons Zeichnung auf und sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, und ich sage ihr, sie könne das ruhig wegwerfen, zusammen mit dem ganzen Papierkram vom Schreibtisch, und langsam beginne ich mich zu fragen, ob Frau Papic wohl stumm ist. Ich sehe ihr zu, wie sie das alte Laken durch ein frisches ersetzt und die neu bezogenen Decken und Kissen faltenfrei auf dem Bett arrangiert, während ich ebenso brav wie gedankenlos die Reste von meinem Teller esse. Sie sammelt die abgezogene Bettwäsche und den Papiermüll ein und trägt alles nach draußen. War’s das jetzt? Nein, sie kommt noch einmal zurück. Sie hält etwas in der Hand.
»Ich dachte, das wollen Sie bestimmt nicht wegwerfen«, sagt sie, und jetzt ahne ich, dass ein schwarz verfärbter Schneidezahn der Grund für ihre Schweigsamkeit ist. Sie hält ein Stück zusammengefaltetes Papier hoch. Es ist Lydias Yogaprospekt.
»Da steht so ein schöner Satz drin.« Sie klappt den Flyer auf und tippt mit dem Zeigefinger auf mein Handgeschriebenes. Ich wundere mich, dass sie das Ding nicht einfach behalten hat, wenn ihr der Satz so gefällt. Aber Frau Papic ist eine ehrliche Frau,
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