Die eingeborene Tochter
für ein Reich, Ma’am?«
»Das Reich der Nostalgie.« Was konnte sie schon tun, als sich möglichst deutlich zu erklären? Was blieb ihr sonst übrig? Wenn die Vieldeutigkeiten sich schließlich zu einem Verbrechen aufsummierten, dann war es halt so. »Ich wollte, daß die Leute anfangen, ihre Zukunft anzunehmen. Aber das ist sechzehn Jahre her – jetzt sind meine Ziele nicht annähernd mehr so erhaben. In letzter Zeit begnüge ich mich damit, ohne zu schreien den Tag zu überstehen.«
»Wollten Sie nicht auch die Kirche der Unbestimmtheit gründen?« fragte Urpastor Martin.
»Nein.«
»Aber sie wurde gegründet.«
»Ich hatte nie die Absicht, eine Kirche zu gründen.«
»Dann liegt der Irrtum bei denen, die nach Ihnen kamen? Bei den Unbestimmtheitspredigern und deren Gemeinden?«
»Es fällt mir schwer, sie deswegen zu tadeln. Sobald man irgendeinen Sinn in der Welt findet, hält man sich daran fest. Die Menschen nehmen jede Gottheit an, die sie kriegen können. Jeder Mensch braucht einen Gott. Ich auch.«
In Urpastor Duprees Akne erschien ein leichtes Lächeln. »Sind Sie, wie Ihre Anhänger behaupten, die Tochter Gottes?«
»Denke schon. Ja.« Diese sanfte Überprüfung war ihr unheimlich. Sie hatte ein Inquisitionsverfahren erwartet, nicht so ein langweiliges Quiz. »In diesem Fall handelt es sich allerdings um einen eher zeitgenössischen Gott. Jenseits des Universums, verstehen Sie? Jenseits der Paradigmata von Religion und Wissenschaft.«
Blanker Neid packte sie, als Urpastor Martin aus einem kugelförmigen Streuer Zucker in seine Kaffeetasse schüttete. Sie hatte seit Wochen keinen Kaffee gekriegt. »Nehmen wir einmal an, Sie haben recht« – Urpastor Martin rührte mit einem glänzenden Silberlöffel im Kaffee – »und Gott ist unerkennbar, bedeutet das nicht, daß er weder Himmel noch Erde erschaffen hat? Und das Leben?«
»Wir haben in diesem Jahrhundert bessere Schöpfungsmodelle.«
»Aber Miss Katz, wenn uns Gott einen Menschen wie Sie geschenkt hat, dann hat er uns sicher auch noch anderes geschenkt – die Vögel in den Bäumen, die Würmer in der Erde, die Sonne. Liegt nicht darin die ganze Wahrheit?«
»Was ist Wahrheit?« fragte Julie. Sie studierte die drei Richter. Ihre Gesichter strahlten im Glanz erwartungsvoller, gottgesegneter Faszination. »Wenn Sie sich eingehend mit dem Problem befassen, wie ich es getan habe, werden Sie zum Schluß kommen, daß die überwältigende Menge der Beweise eindeutig für kosmologische und biologische Evolution spricht. Tut mir leid. Aber das ist so.«
»Wie können Sie Gottes Tochter sein, und nicht an Gott glauben?«
Julie preßte den Zeigefinger ans linke Auge. »Nehmen Sie das Auge.«
»Das Auge?«
»Das menschliche Auge – jedes Wirbeltierauge. Statt direkt mit dem Hirn verbunden zu sein, liegt der Sehnerv dem Licht gegenüber; die Netzhaut ist nach hinten verdrahtet. Kein fähiger Ingenieur, und bestimmt kein göttliches Wesen, würde sich je so eine Konstruktion ausdenken.« Julie warf der Richterbank einen schiefen Blick zu. Die Urpastoren beugten sich vor. Sie strahlten förmlich vor Verständnis für dieses gutdurchdachte Argument. »Es kommt nur darauf an einzusehen, daß schon die bloße Idee der Wirklichkeit keinen wirklichen Anfang hat«, drängte Julie fröhlich weiter, »keinen Zeitpunkt, vor dem etwa die Gesetze der Physik nicht angewendet werden können, keine erste Bewegung, kein…«
»Sie sehen Gott als Ingenieur?« fragte Urpastor Phelps.
»Ich sehe Gott überhaupt nicht ›als‹ irgend etwas.«
»Das haben Sie aber gesagt. Als unfähigen Ingenieur.«
»Unfähig, fähig, wer weiß? Gott ist immer das, was er für uns sein soll. Gott ist unsere Vorstellung von Gott.«
Merkwürdig, aber der große, rote Foliant, den Urpastor Martin nun unter der Richterbank hervorzog, trug einen Titel, den Julie wiedererkannte. Malleus maleficarum – sie hatte das Buch einmal in Howard Liebermans Apartment entdeckt; und schon Jahre vorher auf Andrew Wyverns Schoß im verlassenen ›Deauville‹. Der Hexenhammer, welcher die Hexen und ihre Ketzerei wie mit einem zweischneidigen Schwert zerstöret: alles, was ein Renaissancepriester schon immer über den Teufel wissen wollte, aber nicht zu fragen wagte, hatte Howard lachend erklärt. Hast du eine Vorstellung, Julie, was für eine schreckliche und wahnsinnige Zeit die sogenannte Renaissance war?
Hexen. Hexen? O Gott, wenn du je Mutter gewesen bist…
»Ich muß zugeben, wir
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