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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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ein Glaube so apokalyptisch wie das Christentum, so wild wie der Islam, repressiv wie der Hinduismus, selbstgefällig wie der Buddhismus. Eine Kirche der Julie Katz müßte es sein.
    Mit einem plötzlichen Ruck zieht Wyvern seine Beute aus dem Wasser – einen Hammerhai. Seegras hängt ihm wie Zahnseide vom Maul. Das glubschäugige Monster bumst auf die Planken und tobt herum, als sei es schon in der Bratpfanne.
    Leider ist Gottes Tochter von ihrer Natur her keine Proselytenmacherin. In der Tat – wenn erst ihr lästiger Vater den Weg allen Fleisches gegangen ist, wird sie einfach ihr Leben leben und niemals an die Öffentlichkeit gehen. So muß der Plan eben sehr schlau sein, jeder einzelne Schritt – Timothy Milks kaputte Augen, Beverly Fisks Purpurrobe, Bix Constantines Revolverblatt – mit List und Tücke durchgeführt, damit nicht Wyverns so liebevoll entworfene Kirche im ungewissen Sumpf künftiger Zeiten steckenbleibt wie ein Lumbricus in den Eingeweiden eines Sünders.
    Innerlich beflügelt von so hoffnungsvollen Träumen, tätschelt der Teufel den Hai, genießt die Berührung der Sandpapierhaut auf der Hand. Zu schade, daß er Vegetarier ist. Haifleisch, hat er gehört, soll köstlich schmecken.
     
    Atlantic City war einmal als Badeort berühmt, ehe es zu einem Zentrum für Völlerei, Zecherei, Auflesen von Geschlechtskrankheiten und zu einem Ort wurde, wo man an grünbefilzten Tischen sitzt und verzweifelt hofft, daß einen die nächste Karte endlich über Einundzwanzig bringt. Atlantic City war früher eine Art Salzwasser-Lourdes, und in dem Sommer, als Julie elf Jahre alt wurde, schien die Stadt sich nostalgischen Erinnerungen an eine tugendhafte Vergangenheit hinzugeben. Die Sonne spendete trügerische Wärme, die in die Gebeine der Spieler sickerte und sie in der Nacht tief und fest schlafen ließ. Salzige Brisen drangen in die Nasen und Rachen derer, die solcher Wohltaten bedurften; entzündete Mandeln und Nebenhöhlen heilten ab.
    Jeden Morgen nach dem Frühstück pflegten Julie und Phoebe an den Absecon-Strand hinunterzuradeln, die Drahtkörbe am Fahrrad vollgestopft mit Plastiksäcken und Lunchpaketen. Sie verbrachten den Tag mit dem Bau kunstvoller Sandburgen, komplett mit Austernschalenzinnen, von Mördermuscheln bewachten Burggräben, und mit Geheimkammern, wo Winkerkrabben geschäftig herumliefen wie Weltraumwesen, die Hofintrigen über einen fernen Planeten spinnen. Aber dieses Burgenbauen war keine Rückkehr ins Stadium kindlicher Unschuld. Das Wesentliche für Königin Zenobia und die grüne Zauberin – Julies und Phoebes Geheimnamen – bestand immer darin, die Burg in die Luft zu jagen. Nicht grausam und plötzlich – keine Sprengung, für die sich Phoebes Dynamit hätte verwenden lassen. Jede Burg mußte stufenweise fallen, Stück für Stück, Turm um Turm, wie unter der Belagerung einer Hummerarmee mit Artillerie aus dem 19. Jahrhundert. Tante Georgina lieferte dazu die nötige Technologie – Knallfrösche, Raketen, Leuchtkugeln und Bomben –, unverkaufte Posten jenes illegalen Feuerwerk-Inventars, das den vierten Juli für Smitty’s Smile Shop so wichtig machte wie Weihnachten für einen Spielzeugladen.
    »He, Katz, da ist ein Schimpanse! Ein echter gottverdammter Schimpanse!«
    Julie richtete eine V1 über den Westwall von Burg Boadicea – von Tante Georgina stammte die Anregung, die jeweiligen Konstruktionen nach berühmten Kriegerinnen zu benennen –, und sie traf den Hauptturm. »Ein Schimpanse? Wo?«
    Aber Phoebe war schon weg und rannte auf die verfallenen Reste des Central-Pier zu. Eine alte schwarze Frau in Schwesterntracht lag dösend in einem Liegestuhl; der runzlige Körper im Schatten eines roten Strandschirms, an den mit einem Ledergeschirr ein Schimpanse – Phoebe hatte recht, ein wirklicher gottverdammter Schimpanse! – gebunden war. Wenn der Schimpanse durchdrehte, würde er den Schirm umreißen wie Samson den Tempel der Philister. (Du bist Jüdin, sagte Papa immer, wenn sie gerade eine Geschichte aus der Bibel gelesen hatten. Du solltest solche Dinge wissen.) Phoebe kam bei der Gruppe an, ließ den Schimpansen Rumpf und Beine beschnuppern, dann beschnüffelte sie ihn an denselben Stellen. Sie drehte sich zum Begleiter des Schimpansen um. Ein Kind in ihrem Alter. Es saß genau an der Stelle, wo der Schatten des Sonnenschirms auf den sonnendurchglühten Sand fiel: sein weißer Körper schien in zwei Hälften gespalten – halb dunkel, halb hell. Als er mit

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