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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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für den Hunger, als ordentlich zu kotzen.«
    »Und was für Zeug suchen wir?«
    »Weiß nicht. Irgendwas wirklich Tolles. Wir treffen uns in einer halben Stunde in der Empfangshalle. Bring was Schönes mit!«
    Die Räume überall gleich. Glasscherben. Schäbige Teppiche. Die Sprungfedern der nackten Matratzen brachen durch den Stoffbezug. Wie bei einem komplizierten Bruch oder einem anderen grobschlächtigen Beispiel aus dem Erste-Hilfe-Handbuch der Pfadfinder. Das Hotel, fand Julie, sah aus wie eins von Pops Wracks, William Rose oder Lucy II auf dem Meeresgrund. Vielleicht hatte sie sich über Gottes Ankunft falsche Vorstellungen gemacht. Es könnte schließlich ebensogut an Land wie unter Wasser passieren. Gott könnte in einem Hotelzimmer erscheinen – ein Strahl göttlichen Lichts aus einem Duschkopf; ein Strahl, der sich dann in ihre Mutter verwandelt.
    Julie ging in die Badezimmer und probierte die Duschen. Alle kaputt. Wenn sie an der Spülung zog, dröhnte es stöhnend durch die Leitungen. Das ›Deauville‹ war offenbar nicht mehr imstande, schmerzlos auch nur die einfachsten Dinge zu verrichten. Raum 319. Sie schaute in den Spiegel im Bad. Ihre Augen waren so türkisblau wie die Somers Bay; dunkles Haar – lang und wild wie der Pelz auf dem transsylvanischen Kostüm, das Tante Georgina für Phoebe zu Halloween besorgt hatte. (Phoebe ging immer in die Casinos Trick-or-treatment spielen und brachte einen Haufen Vierteldollarmünzen nach Hause.) Rundliches Kinn, auf der Stirn eine schmale Narbe. Die wohlgeformte Nase zeigte leicht nach oben, als sei sie mit einem Kobold zusammengestoßen. Das Beste an ihr war die Haut mit dem sanften, bräunlichen Glanz eines Karamelapfels. Sie verließ 319 und ging in die Turnhalle – zumindest muß es so gewesen sein. Schräg durch das Glasdach schien die Sonne; in breiten Lichtbahnen tanzte der Staub rund um den Barren und das zerbrochene Reck. Die Ringe hingen wie Fallstricke herunter. Auf der anderen Seite des Raumes, hinter einer eingestürzten Wand ein leeres Schwimmbecken, groß wie das Grab eines Dinosauriers. Am tiefen Ende des Beckens saß ein Mann auf einem Plastiksessel, wie ihn Kinder zum Strand mitbringen.
    »Hallo.« Die freundliche Stimme hallte im ganzen Raum wider. Er trug einen roten Frottee-Bademantel und einen roten Badeanzug, die Augen verborgen hinter den dunklen Gläsern der Sonnenbrille.
    »Willkommen in meinem Casino!« In der einen Hand hielt er ein Glas Eistee, in der anderen ein Buch. »Hab keine Angst!«
    »Sie müssen sich verlaufen haben, Mister.« Wenn er näher kam, konnte sie schnell abhauen: zwischen ihnen lag ein ganzes Schwimmbecken. »Das Casino ist nebenan.«
    »Das hier ist das alte ›Dante’s‹. Wir erweitern. Wenn erst das Hotel hier abgerissen ist, haben wir das verdammt größte Unternehmen auf der ganzen Promenade.«
    Der Mann steckte die Zunge in den Eistee, wickelte sie um einen Eiswürfel und saugte ihn in den Mund. »Es ist nicht leicht, ein Casino zu führen, mein Kind, so viele Details – spezielle Zahlungen für Gangster, nachgemachte fill slips, gefälschte Marker. Blöd, mehr Steuern als unbedingt nötig zu zahlen, eh?« Er schlug das Buch zu und zog eine kleine silberne Schachtel aus der Tasche des Bademantels. »Du darfst mich Andrew Wyvern nennen. Meine anderen Namen sind Legion. Du bist Julie Katz, nicht wahr?«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Weil ich auf Erden umherschweife – hin und her und auf und ab. Komm her, Herzchen. Ich hab was Spezielles für dich.«
    »Ich glaub, das sollte ich besser nicht.«
    »Es ist eine Nachricht. Von deiner Mutter.«
    »Meiner Mutter?«
    »Gott ist einer meiner besten Freunde. Lies Hiob.«
    Ein wunderbar warmes Gefühl durchströmte Julie, als ob all ihre Kuscheltiere sich an sie schmiegten. Ihre Mutter! Er kannte ihre Mutter! »Was ist das für eine Nachricht?«
    »Komm her. Ich werd’s dir erzählen.«
    Julie stieg am flachen Ende des Beckens hinunter. Verrottete Gymnastikmatten lagen da; Risse und Pilzwucherungen durchzogen die Kacheln. Sie stieg die Leiter hinauf. Wyvern verströmte einen seltsam süßen Geruch nach in Honig eingelegten Orangen. »Wie sieht sie aus?« fragte Julie. »Ist sie schön?«
    »O ja, sehr schön.« Er trommelte mit seinen großen, popcornartig gequollenen Knöcheln auf das Buch. Seltsamer Titel: Malleus maleficarum. »Sie ist genau so, wie du dir sie vorstellst.«
    »Blondes Haar? Und wirklich groß?«
    »Genau so.« Mr. Wyvern klappte die

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