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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Tochter.«
    »Was?«
    »Ihre Tochter.«
    »Gottes? Gottes Tochter? Ich hab immer gewußt, du bist total verrückt, aber… Gottes Tochter?«
    »Gottes Tochter.«
    Timothy wies mit der Hand auf die Fläche des Atlantik. »Er ist so flach. Ich dachte, er sei rund.« Er drehte sich zu Julie um. »Du hast mich in Ordnung gebracht, nicht wahr?«
    Plötzliches Schwindelgefühl, stark und so dauernd wie ein Spieler an einer Slot-Maschine. Keine Wunder mehr. Sie würden sie fortholen. »Laß dir eines sagen, Timothy.« Sie packte die nackte, schweißnasse Schulter. »Verrat es irgendwem, und ich mach dich wieder blind!«
    Der Junge stolperte zurück. »Nicht! Bitte!«
    »Sag, daß du’s niemandem erzählst!«
    »Ich sag’s niemandem!«
    »Noch mal!«
    »Ich werd’s nie verraten! Nie, nie, nie!«
    Julie wirbelte herum. Sie hatte ihn geheilt! Sie war nicht Königin Zenobia, aber sie war Gottes Tochter! Und wieder das angenehme Beben. Wundervolle warme Wellen fluteten von ihrer Vagina nach oben. Phoebe sah plötzlich bleich aus. Trotz ihres dunklen Teints. Ja, meine Gute, Gottes Tochter ist nicht irgend jemand! Stell ihr ein Bein, und dein Körper wird zu einem Sack voller Schwären!
    »He, du kannst voll auf mich zählen«, sagte Phoebe zaghaft. »Alles eingeschlossen in meinem Kopf und den Schlüssel durchs Klo runtergespült!«
    »Gut.«
    Julie nahm ein Streichholzbriefchen aus ihrem Lunchpaket und steckte den Hauptzünder an. Sie begutachtete ihr Wunder. Der Junge zog den Gummizug seiner Badehose weg und starrte in den Zwischenraum, wo seine Beine sich trafen. »Ich mußte sehen, wie es aussieht«, sagte er und ließ die Badehose gegen den Bauch schnappen.
    Burg Boadicea explodierte wie ein nuklearer Pfau, überall Funken und Flammen, wundervoller Anblick, perfekt. Der Hauptturm, armiert mit Knallfröschen, hob sich zwei Zoll in die Luft, bevor er zusammenfiel. Der Burggraben war mit PVC-verpackten Cherry-Bomben vermint und ließ große wellenförmige Qualmwolken über die Wallböschungen quellen.
    Phoebe schrie und jauchzte vor Vergnügen. Arnold rannte mit schrillem Gezwitscher aufgeregt im Kreis herum.
    Timothy rief: »Oh, wow!«
    Die Kinderfrau erwachte und kreischte.
    »Zeit abzuhauen, Kumpel«, sagte Julie und zerrte Phoebe an den Schulterträgern des Badeanzug.
    »Wow!« rief Timothy.
    »Was kannst du denn noch?« Phoebe zitterte vor Neugier. »Kannst du Leute glücklich machen?«
    Timothy zog den Schimpansen hinter sich her und rannte mit offenen Augen und auf geradem Weg zum Central-Pier. »Mrs. Foster, Mrs. Foster, ich muß Ihnen was erzählen!«
    Wieder kreischte die Kinderfrau.
    »Mrs. Foster!«
    Julie haute ab, Phoebe keuchend hinterher. Schneller und schneller rannten sie blindlings über den Strand, wirbelten Sand auf, jetzt die ausgetretenen Stufen hoch, über die Promenade, da waren auch schon die Fahrräder, Julies Schritte pochten durch ihre Knochen bis in den Kopf, skandierten immer wieder den dumpfen Rythmus, nie wieder, nie wieder, nie wieder.

 
4. Kapitel
     
    Züngelnd mit gespaltener Zunge, Gift aus ihren Fangzähnen verspritzend, glitt die dunkle Schlange der Verzweiflung durch Reverend Billy Milk, als er die Promenade hinunterschritt. Nichtig, nichtig, alles war nichtig und Gottes Schweigen niederschmetternd. Sieben, die stets wiederkehrende Zahl aus der Offenbarung; sieben, jene rhythmisch wiederholte Ziffer aus der Offenbarung; sieben Jahre seit Billys letzter richtiger Verbindung mit dem Himmel: damals hatten ihm die Stimmen der Seraphim verkündet, er allein sei ausersehen, Jesus auf die Erde zurückzubringen; damals waren die weißgewandeten Heerscharen durch seinen Kopf gezogen – auf ihrem Marsch zum Brande Babylons; 1984 dann der Höhepunkt des gewaltigen inneren Schauspiels; jener eindeutige Beweis, daß Seraphim und Heerscharen wirkliche Botschaften des Herrn waren, und nicht etwas, was ihm bloß überreizte Phantasie vorgaukelte. Er hatte eben geduscht. Mrs. Foster, sonst vorsichtig und zimperlich, riß den Plastikvorhang zur Seite, so daß nichts Substanzielleres als bloßer Dampf Billys sündiges Fleisch verhüllte.
    »Er hat Augen!« kreischte sie.
    »Augen? Wer?«
    »Timothy! Zwei Augen!«
    »Was?«
    »Zwei Augen!«
    Billy rannte noch nackt aus dem Bad. Es war wahr. Stühle, Tische, Löffel, die Familienbibel, das Bild der Mutter auf dem Kaminsims, die eingeseifte Haut seines Vaters – der süße blauäugige Junge konnte alles sehen.
    »Timothy! Was ist geschehen?«
    »Sie

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