Die eingeborene Tochter
kam so zur Vollendung.
Mit gurrendem Lachen glitt sie fort.
»Ich möchte es kaufen«, sagte Billy.
»Kaufen?« Nackt wie Eva thronte Beverly auf dem Kirchenstuhl in der ersten Reihe, schob seine Visa Card in eine kleine Maschine.
»Dein Nachthemd.«
»Laß mich überlegen. Fünfzig Eier, okay?« Die Zunge im Mundwinkel, rammte sie die Druckwalze auf die Karte, druckte die Adresse auf die Quittung. »Das macht dann insgesamt hundertfünfunddreißig. Unterschreib hier, Honey.«
Er unterschrieb. Froh. Welche Siegesnacht für Christus – die Hure Babylon entlarvt, erlöst, der wahre Name der Stadt enthüllt, Billys Mission bestätigt. Aber eine schreckliche Aufgabe lag noch vor ihm, dachte er; irgendwie mußte er seine Herde sammeln und in Soldaten Christi verwandeln; seine Herde, die augenblicklich mehr mit Steuerflucht und Zahnarztrechnungen beschäftigt war als mit der Wiederkunft des Herrn. Timothy. Alles ging auf Timothy zurück. Durch jenes Wunder, daß es Augen gab, wo vorher keine waren, wußte Billy: sein Wille war Gottes Wille, und er würde seine Kirche dazu bringen, das eschatologisch Notwendige zu akzeptieren – die ganze Stadt zu Asche zu verbrennen. Ja, du, Dorothy Melton mit dem verrückten Federhut – du bist zur Armee des Heilands berufen. Und du, Albert Dupree, der du dich gegenwärtig kaum aus der Gosse halten kannst, eines Tages wirst du Gottes Zorn über Babylon ausgießen. Und auch du, Wayne Ackermann, König der Versicherungsagenten – ja, Bruder, das Jahr 2000 wird dich beim Bau des Neuen Jerusalem sehen, des großen wasserlosen Hafens, durch den Jesus wieder auf die Erde herabkommen wird.
»Schöne Nacht noch!« sagte Beverly und glitt in ihren Trenchcoat. Sie packte die Chemieausrüstung ein, schritt durch den Mittelgang und verschwand in der Stadt Babylon, genannt Atlantic City.
Mit offenen Augen, gekleidet nur in die Wasser der Absecon-Bucht, beginnst du deinen Abstieg, tiefer, immer tiefer hinunter zum Kuscheltierzoo deiner Kindheit. Ab und zu stimmst du dich ein auf die Gespräche der Kabeljauschwärme, die in silbrigen Konstellationen vorbeiziehen, auf die Ränke der Quallen, die sich wie düstere Regenschirme auf und ab schlagend durchs Wasser bewegen – aber du verfolgst ihre Gedanken nicht lang: du hast viel Wichtigeres zu bedenken. Die wahre Natur deiner Göttlichkeit. Das Konzil von Nicea im 4. Jahrhundert. Sex.
Man schreibt 1991. Die Welt hat wenig übrig für siebzehnjährige Jungfrauen.
In einem Buch deines Vaters hast du es gelesen: im Jahre 325 anno Domini berief Kaiser Konstantin ein Konzil in die kleinasiatische Stadt Nicea. Er wollte einen Streit beenden, der seit Jahrhunderten durch die Christenheit tobte. Vereinfacht: war Jesus untergeordneter Nachkomme Gottes, wie Arius von Alexandria glaubte, oder war er Gott selbst, wie Erzdiakon Athanasius behauptete? Nach den ersten Untersuchungen neigte das Konzil dem Offensichtlichen zu: der Sohnestheorie. Das Epitheton ›Sohn Gottes‹ erschien in allen Evangelien, gemeinsam mit dem bescheideneren ›Menschensohn‹. Im zweiten Kapitel der Apostelgeschichte nennt der Jünger Petrus Jesus einen ›von Gott bewiesenen Menschen‹. Bei Matthäus 19. begeht jemand den Fauxpas, Jesus ›guter Meister‹ zu nennen, und Jesus ermahnt ihn: »Was heißest du mich gut? Niemand ist gut denn der einige Gott.«
Doch halt: Da gibt es ein Problem: Im selben Augenblick, wo man eine Untergottheit einführt, zerstört man die Verbindung zwischen wertvollem jüdischen Monotheismus und römischem Heidentum: ein Schritt zurück. Deshalb erklärte das Konzil Jesus zum ›wahren Gott‹, durch den ›alle Dinge erschaffen sind‹. Das Niceanische Credo wurde auch 1991 noch in den Kirchen gebetet.
Wie Jesus vor dir weißt du, du bist nicht Gott. Ein göttliches Wesen, ja, aber schwerlich Mitschöpfer des Universums. Wenn du draußen auf der Brigantine Mall stündest und riefst: »Es werde Licht!« dann gingen höchstens im K-Markt ein paar Neonröhren an, aber keine neuen Sterne am Himmel. Gottes Kinder erschaffen keine Galaxien. Sie erschaffen keine neuen Arten, halten nicht die Zeit an und eliminieren nicht mit einem Schnippen ihrer göttlichen Finger den Teufel aus der Welt. Jesus heilte Leprakranke, aber er heilte nicht die Lepra. Eure Kräfte sind beschränkt, eure Verpflichtungen begrenzt.
Ein Tintenfisch schwimmt vorbei, die Fangarme wogen in schläfrigen, vorzeitlichen Rhythmen.
Die Leute fragen immer: Existiert Gott?
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