Die eingeborene Tochter
Mit leisem Argwohn zog er das Hemd über ihren Nabel.
»Regnet auch viel.«
»Julie, was soll das heißen?«
»Das soll heißen, ich will nicht mit dir auf die Galapagos-Inseln.« Sie biß in den Kringel. »Ich – will – nicht.«
An diesem Punkt war Howard in Rage geraten, hatte ihr von Faulheit bis Vampirismus so ziemlich alles vorgeworfen. Sie beute ihn aus. Heuchle Fürsorge, während sie ihre Fänge in seinen Intellekt schlage, seinen Geist aussauge. »Weißt du eigentlich noch, was du steif und fest behauptet hast, bevor ich’s dir ausgeredet hab? Du hast gesagt, du glaubst an Gott!«
»Aber ich glaube an Gott. Tut mir leid, Howard, aber ich will mir nicht einen ganzen Sommer dein Geseire über Kreationismus anhören.«
»Ich hab dich zu dem gemacht, was du bist, verdammt noch mal! Ich hab dir das Denken beigebracht!«
»Ja – dein Denken!«
»Ohne mich wärst du doch nur irgendeine unterbelichtete Studentin!«
Woraufhin Julie aus dem Bett gestiegen war und ihm den käsebeschmierten Kringel auf die Stirn gedrückt hatte – wo er wie die Travestie eines Kainszeichens kleben blieb. Dann hatte sie sich angezogen, war aus dem Apartment geflohen und die Spruce Street zum Universitätsmuseum hinuntermarschiert, wo sie den Nachmittag mit der Betrachtung einbalsamierter Ägypter verbrachte.
Männer.
Am nächsten Tag holte sie ihre Sachen aus Howards Wohnung und kehrte auf Angel’s Eye zurück, ein Zuhause nun auch für Phoebe und Georgina, deren Vermieter, ein Apokalyptiker, am Pluralismus ihrer sexuellen Neigungen Anstoß genommen und sie aus dem Ventnor Heights Apartment rausgeschmissen hatte. Gute alte Phoebe, gute alte Georgina. Wunderbare Krankenschwestern, alle beide, besonders aber Georgina, die andauernd bizarre Kräutertränke für Papas schwaches Herz bereitete; die ihn mit dem kräftigem Gemüse fütterte, das sie irgendwie dem sandigen Boden abzuschmeicheln wußte.
Julie widmete sich wie besessen ihrem Tagebuch; hoffte, durch das Ausbreiten ihrer Gedanken auf samtweißem Papier werde sich, wie im Kino, allmählich klären, wer sie wirklich war.
Ihr ›Tempel‹ erwies sich als ideale Schriftstellerklause; glich einer Klosterzelle. Kerzen aus dem Smile Shop. Seltsam, wie Phoebe alles auf den neuesten Stand brachte. Seltsamer noch, daß die Bilder Julie nicht mehr beruhigten. Es schien, als sei ihr Bewußtsein bröcklig geworden; als sei ihr Überich dabei, langsam zu verbluten. Bei jedem neuen Apartheidopfer oder Verkehrstoten dachte sie, Phoebe will mit diesen Bildern zweierlei ausdrücken: Katz, du hast nichts damit zu tun. Katz, du hast alles damit zu tun.
»Gott hat mich nicht gesandt, um einen Haufen billiger Tricks vorzuführen«, schrieb sie ins Tagebuch. »Phoebe versteht das leider nicht. Außerdem trinkt sie zuviel.«
In der Tat – Phoebe konnte man nicht ernst nehmen. Sie bewegten sich auf völlig verschiedenen Ebenen: Julie, Mitglied der Ivy League, kommende Prophetin des Empirismus, Phoebe, die Highschool-dropout, Angestellte in einem Scherzartikelladen. Was wußte Phoebe von der Chandrasekhar-Grenze? Von der Planckschen Konstante, Seyfert-Galaxien, Hilbert-Räumen? Armes Mädchen. Sie sollte aus New Jersey raus und was über das Universum lernen. Vielleicht sollte sie Phoebe betreuen, wie Howard sie betreut hatte; sollte Phoebe vielleicht mit den Reizen der Kosmogenese bekanntmachen.
Howard. Ach ja, Howard. »In seinem mitleidlosen Kreuzzug hat Howard einiges übersehen«, las Julie. »Quantenmechanik und allgemeine Relativitätstheorie erklären nicht das Universum, sie beschreiben es, wie früher die Kristallsphären des Aristoteles und Newtons Uhrwerkplaneten.« Sie las den Absatz noch einmal. Howard ›hat übersehen‹ hatte sie geschrieben, nicht ›übersieht‹. So war es: endgültig aus, er war schon in die Mitvergangenheit verbannt. Schön. Gut, daß sie ihn los war. »Howard nahm das Modell für die Wirklichkeit«, setzte sie fort, »die Metapher für die Substanz. Ein wirklicher Forscher, glaube ich, kommt von Heisenbergs berühmter Unschärferelation Delta x Delta p >= h/4Pi stillschweigend zu einer tieferen Moral: Im Herzen aller Wahrheit liegt die strahlende Wolke des Unbekannten, ein Goldkorn wunderbaren Zweifels, ein leuchtender Kern ewigen Wandels.«
Pop trat ein. Täglich schien er ein bißchen kleiner, ein bißchen krummer zu werden. Das Leben verlief wie die berühmte statistische Glockenkurve: man wächst, erreicht den Gipfel und – schrumpft. Er
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