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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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AIDS-Patienten, Erdbebentoten. Sie zerrissen das brennende Papierpuppenhaus. Zerstörten das in Lava erstickte Dorf. Warfen das abgestürzte Flugzeug in den Abfalleimer. Zurück zu den Wänden; nach einer halben Stunde kam die unterste Schicht zum Vorschein – Schlammströme und Hungersnöte, Epidemien und Revolutionen, heilige Kriege, Zwangsversteigerungen und Chemieunfälle.
    »Großer Tag heute, hm?« Phoebe schälte einen Jungen aus Nicaragua ab, dessen Arme und Beine aus Gummi und Stahl bestanden.
    »Yeah, darauf wartest du doch, Kumpel.« Julie zog ein zehn Jahre altes Heroinopfer herunter. »Ich mein es ernst! Komm mit deiner verdammten Kamera nach – und ich schmeiß das Scheißding in den Ozean.«
    »Sicher, Katz«, sagte Phoebe mit schiefem Lächeln. Nur der Altar blieb, wie er war – der Schädel des unbekannten Matrosen, die als Nuklearraketen verkleideten Dynamitstangen, die brennenden penisförmigen Kerzen aus dem Smile Shop. »Was immer du sagst.«
    »Komm mir bloß nicht in die Quere!«
    »Bist du verrückt? Den Zorn der Julie Katz heraufbeschwören? Ausgerechnet ich?«
    Julie hielt den Junkielehrling an die Kerzenflamme. Das Papier fing Feuer. Ein hellorangerotes Glühen, dann eine Wolke von Ascheflocken, die wie schwarze Motten durch den gesäuberten Tempel trieben.
    Der Zorn der Julie Katz. Der Ausdruck gefiel ihr.

 
8. Kapitel
     
    Obwohl Bix Constantine an die Hölle genausowenig glaubte wie an den Himmel, wußte er jetzt, wie sie etwa aussehen würde, die Hölle. Hölle hieß für Bix: Eifersucht. Gescheiterte Journalisten, die zuschauen müssen, wie ihre Feinde Pulitzer-Preise bekommen. Zwanghafte Spieler, die zuschauen müssen, wie die Jackpots aus den Slotmaschinen ihrer Nachbarn herausklimpern. Sexuell ausgehungerte junge Männer, die zuschauen müssen, wie sich ihre Freunde in einem Haufen nackter Cheerleader wälzen.
    Es war schon schlimm genug, daß Julie das ›Dante’s‹ mit dem Kartengeber verlassen hatte, einem dieser sanften, intellektuellen Typen mit grauen Schläfen und der Aura selbstgefälliger Fitness, aber es kam noch schlimmer. Der Bastard hatte eine Jacht, eine Art seetüchtiges Penthouse. Sie lag bei den Überresten des Steel-Pier vor Anker, das Wort Pain stand quer übers Heck. Er war ihnen vorsichtig gefolgt – durch die Lobby, über den Boardwalk, den Kai hinunter –, fand schließlich bei dem abgewrackten Karussell einen günstigen Beobachtungsort hinter einem hölzernen Zebra. Die furchtbaren Beleidigungen hörten nicht auf: der lüsterne Begleiter streckte die Hand nach ihr aus, sie griff begierig danach; blieb dicht an seiner Seite, als er in die Kabine tänzelte. Ein paar Minuten später stand die Jacht unter Segeln und nahm Südkurs auf Ocean City. Wer war das? Ein Sheila-Jünger, der sein Herz bei Betrachtung ihres Zeitungsfotos verloren hatte? Einer ihrer alten College-Professoren, der sich bezeichnenderweise in Casinos herumtrieb – sie waren schon seit langem scharf aufeinander; jetzt endlich war Gelegenheit, sich sozusagen im nautischen Heu zu wälzen?
    Bix schlich weg wie ein geprügelter, jedoch völlig verstockter Hund. Wo blieb die Dankbarkeit? Er hatte dieser bizarren, eigentlich nicht verwendungsfähigen Frau einen Job verschafft… sie zu einer Quasi-Berühmtheit gemacht… sie geliebt. Und dafür hatte sie ihn Verräter genannt. Scheiße. Gott der Allmächtige hätte diese Kolumne nicht halten können, nicht bei der Art, wie sie sie schrieb.
    Halb neun. Es wurde schnell dunkel, die ersten Sterne schauten durch die Wolken. Schichtwechsel auf dem Boardwalk: schick gekleidete Pärchen kamen aus ihren Hotels, während traurige, mittellose Tagestouristen angesäuselt ihren Bussen zuströmten; ein zweiter Exodus betraf die Krüppel und blinden Bettler, deren Gebrechen nur im anklagenden Licht des hellen Tages genügend Schuldgefühle und Almosen hervorriefen. Bix öffnete die Brieftasche. Fünfzig Dollar. Das richtige Anästhetikum für akute Eifersucht? Hummer? Alkohol? Huren? Spielautomaten? Er schlurfte in ›Resort’s International‹, wechselte in 200 Quarters und beobachtete unterwürfig, wie ihn der einarmige Bandit schröpfte, 150 Quarters, 90, 60, 20, dann noch 10.
    Ein kleiner Treffer; das Geld stürzte mit schrillem Geklimper in die Wanne. Verdammt. Er war zu müde, den ganzen Haufen wieder einzuwerfen. Wie ein Wall Street-Milchmädchen, bepackt mit zwei riesigen Eimern, über deren Ränder die Quarter hüpften, stapfte er zum

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