Die eingeborene Tochter

auch Gottes Tochter ist, hat grad ihre göttliche Macht enthüllt. Sie glaubt, ich trinke zuviel und ist vielleicht drauf und dran, sich in meinen Stoffwechsel einzumischen. Soll ich eine Nachricht hinterlassen, Sheila, oder einfach weggehen? – VERWUNDERT IN ATLANTIC CITY.
     
    »Weg?« Julie schnitt ein verzweifeltes Gesicht. Ihre Kiemen bebten.
    »Hat den halben Kleiderschrank ausgeräumt. Schau selber nach.«
    »Verdammt!« Julie warf einen Blick auf den Altar. Kein Raketengelände; kein Dynamit; sie hatte sogar das mitgenommen. Liebe VERWUNDERT: Warte!
    Georgina zog den Gürtel an ihrem Karateanzug fester. »Warum hast du ihr gesagt, daß du an die Öffentlichkeit gehst? Weißt du nicht, daß Alkoholiker sich mehr vor der Gesundheit fürchten als vor dem Tod? Da mußte sie doch total in Panik geraten!«
    »Hey, ich hab dir heute einen großen Gefallen getan!«
    Julie setzte sich aufs Bett, Georgina erhob sich. Wie der Partner auf einer Wippe. »Ich hab deinen Laden gerettet. Wenn der Laden der Tante in Flammen steht, tut man halt was dagegen.«
    »In den letzten sechs Jahren stand Phoebes ganzes Leben in Flammen, und du hast keinen Finger gerührt!«
    »Wunder waren nie meine Sache. Ich bin geboren worden, um…«
    »Die schlichte Wahrheit, Julie Katz« – Georgina zog den Gürtel ab – »ist ganz einfach die, daß niemand weiß, warum, zum Teufel, du geboren wurdest, und du weißt es am allerwenigsten.« Sie wickelte sich den Gürtel wie einen Gebetsriemen um den Arm. »Als du aus diesem Ekto-Ding ausgebrochen bist, hab ich gedacht, ein goldenes Zeitalter sei angebrochen. Ich hab geglaubt, du hast uns irgendeine große Weisheit mitgebracht. Ich seh jetzt erst, was für ein Schwein du bist! Phoebe hat das Richtige getan – Abhauen. Ohne deinen Vater ist das hier wie der Tod.«
    Julies Narbe wurde rot vor Zorn. »Ich bin der Tod? Das willst du sagen? Der Tod? Wenn ich dich als Mutter hätte, Georgina, würd ich vielleicht auch saufen!«
    Julie bereute ihre Worte sofort. Zu spät: Jetzt war es heraus, konnte nicht zurückgenommen werden. Genausowenig wie ein Baby, das einst einer gläsernen Gebärmutter entschlüpft ist.
    Georgina sagte nichts. Steif marschierte sie aus dem Tempel. Fünf Sekunden später wurde mit lautem Krach die Haustür zugeschlagen. Als ob Königin Zenobia und die grüne Zauberin noch eine Sandburg in die Luft gesprengt hätten.
     
    Im Leuchtturmraum auf Angel’s Eye zieht Andrew Wyvern den nassen Docht aus der Lampe und drückt ihn in den Mund. Langsam schluckt er, genießt den feinen Nachgeschmack des Kerosins auf der Zunge, genießt es, wie die feuchten Fäden die Speiseröhre hinabrutschen.
    Es hatte keiner großen Anstrengungen bedurft, die Aufmerksamkeit der Herz- und Nierenpatienten, Krebsfälle, Wohlfahrtsempfänger, Wahnsinnigen, Soziopathen und Vagabunden der ganzen Stadt zu erregen. Wyvern war in jede Klinik und jedes Pflegeheim gegangen, hatte behauptet: »Sheila of the Moon hat sich offenbart!«, und sofort waren sie sein, hatte er sie fest in der haarigen Faust. »Folgt mir!« Und das taten sie auch, direkt zum Strand runter, wo er sie flink unter Milks Opfer mischte, die endgültige Falle aufbaute: ein Haufen nach Hoffnung gierender Verzweifelter.
    Der Rest war ein Kinderspiel – er sagte der Menge, wo die Retterin von Atlantic City wohnte, führte sie über die Brücke und verteilte sie rund um den Leuchtturm, stand damit kurz vor dem Höhepunkt seines Plans. Nach Jahren sorgfältiger Berechnung hatte er seine Feindin endlich dazu gebracht, sich zu offenbaren, endlich den Keim zu einer Kirche zu legen.
    Der Teufel lacht, als der Docht durch die Gedärme kriecht. ›Kirche‹, was für ein liebliches Wort, ›Kirche‹, wie das Keuchen eines arabischen Kindes, dem ein Frankenschwert in den Leib dringt bei der Eroberung Jerusalems. Über kurz oder lang werden der Apokalyptizismus und auch sonst alle -ismen dieser Art verschwinden, aber keine Bange; Julie Katz’ Kirche – ah, wieder dieses Wort, köstlicher als Kerosin –, diese Kirche hat Wurzeln geschlagen.
    Kritisch waren die nächsten 24 Stunden. Wenn es schiefgeht, welkt die zarte Knospe dahin: seine Feindin würde ins Dunkel zurücksinken oder, noch schlimmer, weiter mit der Wirklichkeit herumalbern – Hilfe für die Kreuzzugsopfer, Heilung der Alzheimer Krankheit, Beendigung der afrikanischen Dürren, ein sicheres und wirksames Insektizid, Gott weiß, was noch alles!
    Nein, nein: Sie muß die Erde verlassen. Auf