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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Fangzähne. »Ich verspreche dir sicheres Geleit… nur eine einfache Bedingung.«
    »Ihre Bedingungen sind nie einfach.«
    »Du mußt der Menge etwas hinterlassen, das sie auch weiter an dich denken läßt. Einen großen Abgang – den bist du ihnen schuldig.«
    »Ich könnte… auf die Galapagos-Inseln.«
    »Galapagos, Madakaskar, Bali, Tahiti, Sri Lanka – wohin auch immer du dich wendest, du wirst nur dauernd über deine Schulter blicken. Es gibt auch Pizza in der Hölle, Julie. Und Filme, Eiskrem, physikalische Abhandlungen – es gibt dort alles, was du je begehrst.« Die Schlange kroch in die Lampe zurück. »Vergiß nicht, Kind – ein großer Abgang!«
     
    Ich hätte das schon vor Jahren machen sollen, dachte Phoebe, als der Greyhound-Bus aus dem glänzenden Tageslicht in die kühlen, düsteren Schatten des Port Authority Bus Terminals eintauchte. Atlantic City war gar nichts. Ein Disneyland für Erwachsene voller Verlierer und Huren. Endlich war sie am richtigen Ort – Manhattan Island, Gotham, Big Apple, El Dorado mit U-Bahnen. Kein Warten mehr, bis endlich einmal ein guter Film gespielt wurde. Und mit den Touristen und Verrückten im Smile Shop hatte sie auch nichts mehr im Sinn.
    Natürlich vermißte sie Mom. Es tat ihr auch leid, daß sie nicht da sein würde, wenn Melanie aus Hollywood zurückkam. Aber ihre sogenannte Freundin Julie Katz hatte ihr keine Wahl gelassen. Phoebe wollte nicht, daß sich irgend jemand in ihren Stoffwechsel einmischte, auf keinen Fall. Ab und zu was trinken hieß nicht gleich Alkoholismus – wenigstens in New York würde man das verstehen.
    Der Bus fuhr stöhnend und rülpsend wie ein unter Koliken leidendes Nashorn in die Box. Okay, Manhattan war also nicht wie die Südseeinsel im alten ›Deauville‹. Aber sie gehörte hierher. Sie schulterte die Smile Shop-Tragetasche, stapfte den Mittelgang hinunter und stieg aus. New York, neun Millionen Einwohner, und zwanzig weitere grad aus New Jersey hereingeschneit. Sie drängte sich zur Gepäckausgabe vor, wo die Fahrgäste wie Trauernde am Grab herumstanden und warteten. Wie immer bei solchen Leuten, fühlte sie sich als etwas Besonderes, als Außenseiterin. Und das hatte sie Katz zu verdanken. Gott existierte: Phoebe hatte den Beweis. In Atlantic City war der Teufel los: Phoebe war mit ihm Karussell gefahren. Aber – letzten Endes? Hatte Julie Katz irgendwelche größere Bedeutung, bedeutete sie überhaupt etwas?
    Der Busfahrer kam, machte die Luke auf und gab das Gepäck aus. Der wichtigste Gegenstand in Phoebes Handkoffer war nicht die Schatulle mit den Flaschen, auch nicht das Dynamit, sondern ihr Camcorder. Cinéma-vérité-Sex – konnte gar nicht schiefgehen. Inszenierte Unzucht war langweiliges Zeug. Was die Leute wirklich wollten, worauf ihre Neugier sich hauptsächlich richtete, war doch was anderes: das Ursprüngliche, das Echte – eine wirkliche Polizistin, die ihren Mann vögelt, einen echten Botenjungen, wie er seine Freundin rammelt; der ganze Vorgang, jedes Greifen und Probieren und Liebkosen.
    Die Fahrgäste packten ihre Koffer. Ein gutaussehender, etwa dreißigjähriger Schwarzer kam auf Phoebe zu. Weicher Filzhut, tief in die Stirn gezogen, Goldringe an den Fingern. »Neu in der Stadt?« fragte er und grinste auffällig. »Ich bin Cecil.« Er tippte sich an den Hut und schob die Hände in den dreiteiligen, lavendelfarbenen Anzug. »Weißt du schon, wo du bleibst?«
    Phoebe bekam ihren Koffer. »Du siehst jemandem ähnlich, den ich mal kannte. Bist du vielleicht Meeresbiologe?«
    »Was?«
    »Meeresbiologe.«
    »Nicht ganz. Allerdings hat das, was ich tue, auch eine biologische Seite.«
    »Hast du nie dem Preservations-Institut was gespendet?«
    »Was soll das sein? Eine Religion?«
    »Vergiß es.«
    Der Fremde nahm ihren Koffer. »Du hast prächtige Augen, Schwester. Bei mir könntest du mit dreihundert pro Woche anfangen. Begleitservice. Komm zu mir heim, Baby!«
    Phoebe wurde eiskalt. Begleitservice – ha, ha. »Ich hab schon was, danke.« Sie nahm dem Zuhälter den Koffer weg. »Ich bin in der Unterhaltungsbranche.«
    »Ich auch.« Der Zuhälter zwinkerte zweideutig.
    »Ich mach Video. Und jetzt verzieh dich.«
    »Ich wollte doch nur…«
    »Verzieh dich, hab ich gesagt!«
    Sie betrat den Port Authority, fuhr die Rolltreppe hinauf und tauchte ins dichte Gewühl der lärmenden Straßen, wo sie ihr Glück machen wollte.
    Aber zuerst einmal brauchte sie jetzt was zu trinken.
     
    Im Getöse der Medien und

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