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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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dich wie verrückt ins Maislabyrinth. Du bist zwar achtunddreißig, aber du bist schnell, früher Spielmacherin bei den Brigantine Tigerettes. Ist Dad schon hinter dir, hat er dich schon im Visier?
    Ketzerjäger, Republik der Gläubigen, Jersey-Sezession… Sezession? Das Leben als Sterbliche, das spürst du dunkel, wird bedeutend dorniger, als du dir vorgestellt hast.
    Du kommst raus aus dem Maisfeld. Da ist ein Highway. Am Wegweiser ROUTE 30 hängen leere Candypackungen und weggeworfene Saatgutsäcke. Du stellst dich auf den Seitenstreifen und hältst den Daumen raus. Ein richtiger Müllfluß füllt den Graben zwischen Straße und Bankett – leere Motoröldosen, zerbrochene 7-up-Flaschen, abgelaufene Nummernschilder der Republik New Jersey. Autos sausen dem Ozean zu, uralte Rostkisten, dazwischen futuristischere Modelle mit protziger silberglänzender Verkleidung und durchsichtigen Plastikkuppeln. Aber natürlich: wir schreiben schließlich 2012. Während du weg warst, ist die Zukunft angebrochen.
    Ein Pick-up fährt vorbei. Auf der Seitentür ein lächelnder Engel, der ein Flammenschwert hochhält. In dem losen Hemd und mit dem Dreck im Gesicht siehst du aus wie ein Vergewaltigungsopfer. Ruft Mitgefühl hervor, denkst du. Oder lockt einen neuen Vergewaltiger an, der dich für ein leichtes Opfer hält. Du entsinnst dich eines Tricks, den dir Tante Georgina beigebracht hat; der Angreifer läßt sofort los, windet sich am Boden und umklammert seine Hoden. Aber nein, vergiß das, der Fahrer ist zwar ein Mann, aber klein, aufgeregt und sieht aus wie ein Cherub. Stramme, sportlich gekleidete Buddhafigur. »In die Stadt?« fragt er schnell.
    Du nickst. »War lange nicht da«, sagst du dann. »Fünfzehn Jahre. Geht’s da runter immer noch zum Atlantik?«
    Der Fahrer lacht in sich hinein.
    Du steigst ein.
    »Was transportieren Sie mit dem Ding?«
    »Sünder«, antwortet er lakonisch und reiht sich in den Verkehr ein. Ein gekreuzigtes Silberlämmchen schaut traurig unter seinem blauen Blazer hervor. »Arbeite jetzt fast sieben Jahre für den Zirkus, fang ihnen die Sünder zusammen, aber bis jetzt haben die mir keine einzige Freikarte gegeben. Wissen ihre Angestellten einfach nicht zu würdigen.« Er mustert dich mit sanften Teddybäraugen. »Sie sehen wirklich katastrophal aus, Ma’am. Was ist passiert? Ketzern in die Hände gelaufen?«
    Die Feindseligkeit des Mädchens auf der Farm… Du zählst zwei und zwei zusammen. Wenn man heute in New Jersey vorankommen will, muß man unmißverständlich gegen Ketzerei sein. »Ja«, lügst du. »Sie haben mich überfallen.«
    »Teufel sind das! Soll ich Sie zum New Jerusalem Memorial bringen?«
    »Lassen Sie mich an der Huron raus.« Du siehst eine alte ›Tropicana‹-Reklametafel, nur steht da jetzt: DER ZIRKUS, DER FREUDE BRINGT. »DEIN SCHWERT WIRD MICH TRÖSTEN«. 11. APRIL. »Ich geh zu Fuß heim.«
    »Sie sollten zum Arzt, Ma’am.«
    »Mir fehlt nichts.«
    »Also, ich würd das sonst einer völlig Fremden nicht erzählen, aber wenn ich sehe, daß Sie da ’ne Rechnung zu begleichen haben…« Er zwinkert schadenfroh. »Morgen abend werden wir mit so ’nem Ketzer abrechnen – in Eigenregie, verstehen Sie? Haben ihn grad bei Somers Point erwischt. Hab ich über CB gehört. Interessiert?«
    »Sicher«, sagst du. Gekünsteltes Lächeln. Die Haut unter dem Dreck juckt erbarmungslos.
    »Kommen Sie zum Parkplatz beim K-Markt. Halb acht – massenhaft Zeit bis zur Ausgangssperre. Fragen Sie nach’ mir, nach Nick Shiner. Ich schau dann, daß Sie reindürfen. Charlie Fielding bringt die Ziegel.«
    »Ziegel?«
    »Zum Werfen.«
    Du bist dir nicht ganz sicher, glaubst aber, Nick Shiner hat dich eben zu einer Steinigung eingeladen. Route 30 geht in den Absecon Boulevard über. »Diese Ziegelsache kenn ich noch nicht«, sagst du.
    »Die Sache mit den Ketzern ist die, wenn du einen erwischt hast, dann machst du besser voran, sonst nehmen sie ihn dir weg.« Bei Nick Shiners zornigem Gestikulieren wackelt das Silberlamm auf seiner Brust. »Könnten sie nicht ab und zu mit ’ner Freikarte rüberrücken? Für ’nen Kerl, sag ich, der ihnen ihre lausigen Sünder schon sieben Jahre rumkutschiert? Ist das nicht das Mindeste, was sie tun sollten?«
    »Das Mindeste.«
    »Zirkus im Fernsehen – das ist einfach nicht dasselbe«, sagt er seufzend.
    Es wird Abend. Dein Blick schweift über die Salzmarschen. Die Metropole ruht auf drei horizontalen übereinanderliegenden Fundamenten wie die

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