Die Eingeschworenen Raubzug
glauben, dass Storchenbein zehn Jahre älter war als ich, denn er war nicht größer als ich und dazu klapperdürr.
Ich fragte mich, wie so ein Kümmerling – sein rechtes Bein war seit Geburt verkrüppelt, sodass er selbst an Land schwankte wie ein Rohr im Sturm – überhaupt bei den Eingeschworenen aufgenommen werden konnte. Doch
das sollte ich noch früh genug erfahren, und im Nachhinein war ich froh, dass ich ihn nie danach gefragt hatte.
»Ich würde das Schaf erst mal hierlassen, Bärentöter«, lachte er. »Schnapp dir deine Waffen und mach dich bereit. «
»Kämpfen wir denn?«, fragte ich, plötzlich alarmiert. Mir wurde bewusst, dass ich keine Ahnung hatte, wo wir überhaupt waren oder wer unser Feind sein würde. »Wo sind wir?«
Storchenbein grinste nur spöttisch. Doch Ulf-Agar, der in der Nähe stand, klein, dunkel, wie ein schwarzer Zwerg und mit einem dazu passenden Gesicht, sagte: »Wen kümmert’s? Mach dich bereit, Bärentöter. Stell dir einfach vor, es wären Bären, vielleicht hilft es.«
Ich sah ihn an. Ich wusste zwar, dass er mich verspottete, begriff aber dennoch nicht.
Ulf-Agar nahm seine beiden Waffen, die Axt und den Sax – den Schild verschmähte er – und verzog den Mund. »Halt dich hinter Storchenbein, wenn du Angst hast. Menschen töten ist etwas anderes als Bären töten, das muss ich zugeben. Dazu eignet sich nicht jeder.«
Das war eine Beleidigung, und ich spürte, wie mir die Zornesröte ins Gesicht stieg. Ulf-Agar verstand es gewiss, tödlich mit seinen Waffen umzugehen, aber Beleidigung war Beleidigung …
Ich fühlte eine Hand auf meiner Schulter, sanft, aber fest. Der große Illugi Godi mit dem sauber gestutzten Bart und der ruhigen Stimme sagte leise: »Ganz richtig, Ulf-Agar. Und nicht jeder kann in einem Zweikampf einen Bären töten. Wenn es dir gelingen sollte, vielleicht würdest du dann deine Freude darüber mit Ruriks Sohn teilen?«
Ulf-Agar antwortete nicht, , sondern betrachtete nur mit großem Interesse die Einkerbungen auf seinem Sax. »Ich habe einen Speer, Bärentöter«, sagte er dann mit spöttischem Grinsen. »Da du deinen eigenen in den Schädel des Ungeheuers gerammt hast, möchtest du ihn dir vielleicht leihen?«
Ich wandte mich stumm ab. Ulf-Agar war davon überzeugt, dass meine Geschichte erlogen war, denn selbst einem Baldur hätte er sie kaum zugetraut, geschweige denn einem schwachen Halbwüchsigen. Und die Geschichte verfolgte mich noch immer in meinen Träumen, ließ mich fast jede Nacht schweißgebadet und fröstelnd aufwachen, und ich glaube, Ulf-Agar hatte es bemerkt. Es war ein Albtraum von der Sorte, wo man vor etwas davonläuft, die Beine aber nicht schnell genug bewegen kann – denn genauso ging es mir, als ich aus der Tür stürzte und Freydis ihrem Schicksal überließ. Ich schluchzte und keuchte und stolperte durch den Schnee. Ich fiel hin, stand auf und fiel wieder hin.
Mein Knie traf auf etwas Hartes, sodass ich vor Schmerz nach Luft rang. Der Holzschlitten. Der Bär kam schwerfällig hinter mir her und der Schnee stob auf wie bei einem Schiff unter vollem Segel. Zu meiner Überraschung merkte ich, dass ich noch immer Bjarnis Schwert umklammert hielt.
Ungeschickt hob ich den Schlitten auf, stolperte ein paar Schritte weiter, halb fiel ich, halb warf ich mich darauf. Er rutschte ein paar Fuß weit, dann blieb er stehen. Ich stieß mich verzweifelt ab und er kam wieder in Bewegung. Ich hörte, wie der Bär hinter mir grunzte und schnaufte.
Ich stieß mich wieder ab und der Schlitten glitt voran,
wurde schneller und gewann an Fahrt. Ich spürte den pfeifenden Luftzug eines Tatzenhiebs, dann Blut an Hals und Ohren, das beim Brüllen aus seinem verletzten Maul tropfte … und dann war ich weg. Ich schoss den Abhang hinunter und der Bär galoppierte schwerfällig hinter mir her, brüllend vor Wut.
Plötzlich aufstiebender Schnee und Dunkelheit, ein Aufbrüllen hinter mir, dann kippte der Schlitten zur Seite, bäumte sich auf und ich flog durch die Luft und überschlug mich mehrmals im Schnee. Spuckend und benommen richtete ich mich auf. Etwas Dunkles, ein riesiger Felsbrocken, rollte an mir vorbei den Berg hinab und auf die Bäume zu, gefolgt von einem splitternden Krachen und einem kurzen Grunzen.
Dann Stille.
Jemand rüttelte an meiner Schulter. Ich sah Illugis Gesicht über mir und schämte mich, dass ich ins Träumen geraten war, während um mich her eifrige Betriebsamkeit herrschte.
»Wir sind in Strathclyde«,
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