Die Eingeschworenen Raubzug
Wind, die Wellen und das Kämpfen. Ich war über Wiesen und Heufelder gerannt, hatte auf den schwarzen Klippen
Möweneier gesucht, war mit dem Faering umhergeschippert und hatte zusammen mit Bjarni und Gunnar Raudi und anderen das Schiff bemannt. Einmal war ich bis nach Skiringssal gekommen, das war in dem Jahr, als Harald Blauzahn seinen Vater, den alten Gorm, begraben hatte und König der Dänen geworden war.
Björnshafen war der Ort, der mir vertraut war – die Schären vor der Küste, wo die Gischt gegen die schwarzen Felsen donnerte, wo das kreischende Gelächter der Seeschwalben zu hören war. Hier hatte ich nachts im Naust geschlafen, unter den knarrenden Balken schaukelnd, während der Wind die Grassoden auf dem Dach zauste, und ich hatte mich warm und sicher gefühlt, wenn die Schatten der Webstühle wie riesige Spinngewebe im Feuerschein tanzten.
Hier hatte Caomh mich gelehrt, Latein zu lesen, weil es niemanden gab, der die Runen gut genug kannte – wie ein scharrendes Huhn hatte Caomh die Buchstaben in den Sand gekratzt. Hier hatte ich auch alles über Pferde gelernt, da Gudleif sich mit der Zucht von Kampfhengsten einen Namen gemacht hatte.
Und all das sollte mit einem Wimpernschlag vorbei sein.
Einar nahm ein paar Fässer mit Fleisch, Mehl und Bier mit, als Teil des »Blutpreises« für den Bären. Dann gab er Anweisungen, Freydis zu beerdigen, den toten Bären herzuschleppen und sein Fell abzuziehen. Das konnten Gudleifs Söhne behalten, außerdem den Schädel und die Zähne, alles wertvolle Handelsgüter und mehr wert als die Fässer, die er mitnahm.
Ob es ihnen den Vater ersetzte, war eine andere Sache, dachte ich, während ich im Haus das wenige zusammenpackte,
was ich besaß: einen Lederbeutel, ein Messer, eine eiserne Fibel, meine Kleider und einen Leinenumhang. Und Bjarnis Schwert. Ich hatte vergessen, Einar deswegen zu fragen, und es war nie erwähnt worden, also behielt ich es.
Das Meer war schiefergrau mit weißen Schaumkronen. Die Eingeschworenen wateten durch Büschel von Seetang über den gewellten, leicht verschneiten Sandstrand und schleppten ihre Seekisten hinunter zur Fjord Elk, wo sie sich mit Geschrei in das eiskalte Wasser stürzten, die Stiefel um den Hals gehängt. Am blauen Himmel segelten ein paar weiße Wolken und die Sonne schien blank wie eine Messingscheibe. Selbst das Wetter schien mich hier festhalten zu wollen.
Vor dem Haus saß die alte Helga und schabte Schaffelle ab, um sie weich zu machen. Sie sah uns zu. Das Leben ging weiter, so schien es, selbst wenn Gudleif tot war. Caomh sah auch zu, er stand noch immer bei Gudleifs Kopf. Ich nahm an, er würde warten, bis wir hinterm Horizont verschwunden waren, dann würde er ihn wie einen weißen Christen beerdigen.
Ich sagte dies im Vorbeigehen zu Gunnar Raudi, und er brummte: »Gudleif wird es ihm nicht danken. Er gehörte von Kopf bis Fuß Odin, sein Leben lang.«
Dann drehte er sich zu mir um, schwer gebeugt unter der Last seiner Seekiste, und sah mich unter seinen rotblonden Augenbrauen an. »Behalt Einar im Auge, Junge. Er glaubt, dass dich die Götter berührt haben. Er denkt, dieser weiße Bär war von Odin geschickt.«
Ich sagte, dass ich selbst auch schon daran gedacht hatte.
Gunnar lachte. »Aber nicht deinetwegen, Junge. Einar
denkt nur an sich. Er glaubt, dass alles so geschehen ist, damit er hierherkommen musste, zu dir, weil du etwas mit seinem Schicksal zu tun hast.« Er rückte sich die Kiste etwas bequemer auf der Schulter zurecht. »Lern von ihm, aber trau ihm nicht. Keinem von ihnen.«
»Nicht einmal meinem Vater? Oder dir?«, fragte ich leichthin. Er sah mich mit seinen sommerseeblauen Augen an. »Deinem Vater kannst du immer vertrauen, Junge.«
Und damit stapfte er weiter bis zur Fjord Elk, wo er die Männer, die schon an Bord waren, bat, die Kiste hochzuhieven. Sein Haar wehte im Wind, grau gesträhnt und rostrot wie Farnkraut im Schnee. Ich stand unter dem Steven, der sich vom Kiel emporschwang. Er ragte über mir auf, mächtig, düster und bedrohlich. Ich fühlte – dies war mein neues Leben.
Ich war aufgeregt vor Erwartung und doch voller Angst, mir war kalt und ich brannte wie im Fieber. War es das, was einen zum Mann machte … diese Ungewissheit?
»Na, beeil dich, Junge, oder willst du hier bei den Möwen bleiben?«
Ich sah in das mürrische Gesicht meines Vaters, der über die Bordwand blickte. Dann war er verschwunden, aber Geir Großnase beugte sich schmunzelnd herunter, um mir
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