Die Einheit: Thriller (Tokio Killer) (German Edition)
aufgeben müssen. Einige wenige, entschlossene Individuen haben erkannt, dass die Zeit reif ist, aus dieser Situation Profit zu schlagen, und sie stehen unmittelbar davor, Taten folgen zu lassen.«
Wir saßen ein paar Minuten lang schweigend da, während er sein Omelett verzehrte. Dox hielt ein wachsames Auge auf uns gerichtet. Seine linke Hand lag auf dem Tisch, die rechte war unsichtbar.
Als das Geschirr abgeräumt war und nur noch der Kaffee dastand, meinte ich: »Ich will Ihnen sagen, wo das Problem liegt. Gehen wir davon aus, dass alles, was Sie mir erzählt haben, der Wahrheit entspricht. Sie könnten mir trotzdem nicht genug bezahlen, um den Direktor der Nationalen Antiterror-Zentrale umzubringen.«
Ich fragte mich, warum ich immer noch so tat, als würden wir verhandeln, statt ihm rundheraus zu sagen, dass ich unter keinen Umständen interessiert war. Zog ich die Sache ernsthaft in Betracht? Wieder fragte ich mich, ob Dox und Kanezaki vielleicht recht hatten mit ihren ständigen Einwänden, dass ich nicht wirklich aufhören wollte. Aber hätte ich dann Delilah so sehr zum Aussteigen gedrängt?
Horton betrachtete mich – ein wenig kritisch, wollte mir scheinen. »Ihnen ist das egal?«, fragte er.
Ich zuckte die Achseln. »Es geht mich nichts an.«
»Geht Sie nichts an? Welches ist Ihr Heimatland?«
»Sprechen Sie von meinem Pass?«
»Ich spreche von Ihren Loyalitäten.«
»Ich bringe niemandem Loyalität entgegen, der sie nicht erwidert.«
»Dann lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen. Wie viele Menschen haben Sie getötet?«
»So viele, dass ich mich nicht mehr genau erinnere.«
»Was bedeutet dann einer mehr?«
Ich sah ihn an. »Wenn er mich bedroht? Nichts.«
Er nickte. »Ich verstehe. Mir geht es ähnlich. Ich habe vielen Menschen das Leben genommen, direkt und indirekt, und einige Male unter ziemlich fragwürdigen Umständen, wie ich zugeben muss. Eines Tages werde ich meinem Schöpfer gegenübertreten und mich dafür rechtfertigen müssen. Glauben Sie das auch?«
Ich gab keine Antwort. Irgendwo in meinem Hinterkopf schlüpfte ein Bild durch die Schutzmauern. Ein Junge in Manila, der sich an das Kleid seiner Mutter klammerte und um den Vater weinte, den ich ihm genommen hatte. Ich erinnerte mich an seine Stimme, kläglich, kindlich.
Mama, Mama.
Eine Stimme, die mich gelegentlich in meinen Träumen verfolgte.
»Manchmal frage ich mich«, fuhr Horton fort, »ob es mir, wenn es soweit ist, helfen würde, wenn ich sagen kann: ›Ja, ich habe viele Leben genommen. Aber sieh, wie viele Leben ich gerettet habe.‹ Stellen Sie sich auch ab und zu diese Frage? Fragen Sie sich, ob es etwas gibt, das die Schuld von Männern unserer Art tilgen könnte?«
Abermals antwortete ich nicht. Das eine Bild, das aus meinem Gedächtnis entkommen war, ermunterte weitere zu Ausbruchsversuchen. Noch ein Junge, ungefähr in meinem Alter damals,der ausgestreckt im dampfenden Gras des frühen Morgens an einem Flussufer lag und etwas in einer Sprache flüsterte, die ich nicht verstehen konnte, während Tränen über seine Wangen rollten und sein Leben aus einer Brustwunde in die durchweichte Erde unter ihm versickerte. Einer Wunde, die ich ihm zugefügt hatte.
Genug. Genug.
»Es geht um Folgendes«, sagte Horton. »Wenn wir dem kein Ende setzen, werden Sie in ein paar Wochen CNN einschalten und Fernsehbilder des furchtbarsten Massakers unter Zivilisten sehen, das Sie sich vorstellen können. Serien von Massenanschlägen mitten in der Heimat, die dazu bestimmt sind, größtmögliches Leiden und größtmögliche Medienwirksamkeit zu erzielen. Sie werden die Qual der Überlebenden sehen und das Wehklagen der Familien der Toten hören. Und Sie werden wissen, dass es dazu gekommen ist, weil Sie versagt haben. Weil Sie etwas dagegen hätten unternehmen können, aber einfach keine Lust hatten. Und wenn Sie dann vor Ihrem Schöpfer stehen, und der Tag wird kommen, so sicher, wie das Amen in der Kirche, werden Sie ihm erklären müssen, ihm und den Seelen der Tausenden von hingeschlachteten Menschen, warum Sie es nicht verhindert haben. Wollen Sie das auf Ihr Gewissen laden? Ihre Seele damit belasten?«
Es war ein eindrucksvoller Vortrag, voll Leidenschaft, und ich fragte mich, was seine Inbrunst nährte. Die schlaflosen Nächte vielleicht. Die falschen Entscheidungen, die er getroffen hatte, als er zu schnell auf den Abzug drückte und einen Unschuldigen erschoss, oder zu lange wartete und einen Freund verlor. Eine
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