Die Einheit: Thriller (Tokio Killer) (German Edition)
von ihnen stand immer vor Shorrocks Zimmer Wache, wenn er drinnen war, wie ich bei einem diskreten Ausflug in den 58sten Stock mithilfe eines Zahnspiegels herausgefunden hatte. Wir wussten, wann er auf dem Zimmer war, konnten ihn dort aber nicht erledigen. Es musste anderswo passieren.
Der nächste Tag verlief genauso. Shorrock ging am Morgen ins Fitnessstudio, aber nicht in den Wellnessbereich, nicht einmal, um auszutreten. Die Eröffnungsrede am Mittag kam für unsnicht infrage wegen der Sicherheitsvorkehrungen. Dann folgte Schanghai-Küche zum Abendessen im
Wing Lei
, ein ohrenbetäubender Mix von einem DJ namens Pizzo im
XS
-Nachtclub und dann wieder Black Jack, diesmal mit Treven als Beobachter am Spielautomaten. Insgesamt fünf Besuche auf der Toilette, von denen keiner eine ungestörte Möglichkeit eröffnete.
Knapp vor ein Uhr morgens rief Treven an und sagte mir, dass Shorrocks Party sich auflöste. Er war unterwegs zu seinem Zimmer, flankiert von den Bodyguards, und damit war die Sache für diese Nacht gestorben, seiner letzten auf dem Kongress. Dox würde ihn mit der Kamera, die ich angebracht hatte, beobachten, bis er eingeschlafen war, und wenn sich nichts Neues ergab, würden wir es am nächsten Morgen im Fitnessraum ein letztes Mal versuchen. Wenn das nicht funktionierte und keine neuen Infos über seine zukünftigen Pläne vorlagen, einen Zwischenstopp in einer Kirche zum Beispiel, wie Dox gemeint hatte, waren wir erledigt.
Ich kehrte auf mein Zimmer zurück, zog die Vorhänge auf und setzte mich in den funkelnden Lichtern des Strips still hin.
Es war entmutigend. Ich hatte bisher noch jeden Auftrag erfüllt und die Möglichkeit, diesen hier zu vermasseln, beunruhigte mich. Zugegeben, es ging dabei nicht um hehre Grundsätze. Einfach nur um die gute alte Besessenheit, das zu beenden, was ich als Meister meines Fachs begonnen hatte. Keine besonders sympathische Motivation, klar, aber wenigstens war ich ehrlich zu mir.
Ich spulte ein zunehmend wilderes Sammelsurium von Szenarien vor meinem geistigen Auge ab, weil ich mich versucht fühlte, auch riskante Optionen in Betracht zu ziehen. Aber das war Las Vegas, das mir einflüstern wollte, meine Verluste durch immer waghalsigere Einsätze wieder wettzumachen. Und ich hatte nicht so lange überlebt, weil ich mich auf unüberlegte Dinge einließ. Jetzt war ein schlechter Zeitpunkt, damit anzufangen.
Lange Zeit wälzte ich trübsinnige Gedanken und wartete darauf, dass das Jagdfieber sich legte, der scharfe Adrenalinstoß abebbte. Ich war müde, wusste aber, dass ich nicht schlafen konnte. Ich hatte gerade beschlossen, die Anspannung in der voluminösen Badewanne aus mir herauszukochen, als mein Handy summte – Dox. Ich riss es ans Ohr und sagte: »Sag mir, dass er morgen früh in die Kirche geht und ich kauf dir eine Flasche Bombay Sapphire Gin.«
»Ach, er müsste dringend mal zur Beichte gehen, aber ich bezweifle, dass er das tut.«
»Was redest du da?«
»Tja, Partner. Ich beobachte gerade unseren Freund, dessen tägliches Training ihm offenbar zu einem Stehvermögen verholfen hat, von dem unsereiner nur träumen kann. Während wir hier sprechen, vögelt er gerade einem Callgirl die Seele aus dem Leib.«
»Du verarscht mich.«
»Nein, Sir. Sie ist vor zehn Minuten eingetroffen, aber ich habe dich nicht angerufen, weil ich sie zwar an die Tür klopfen hörte, aber nicht sehen konnte, was vor sich ging – sie müssen im Gang oder im zweiten Badezimmer geblieben sein und die Kamera zeigt ja nur das Hauptzimmer der Suite. Aber jetzt ist er mit ihr auf der Couch zugange und, oh ja, sieh dir das an, jetzt dreht er sie um und besorgt’s ihr ein bisschen von hinten. Hey, der Mann hat wirklich interessante Vorlieben! Sag mal, Partner, woran liegt das bloß, dass es immer zum Brüllen komisch ist, anderen Leuten beim Rammeln zuzusehen?«
Ich antwortete nicht. Meine Gedanken rasten. Es musste eine Möglichkeit geben, das auszunützen. Musste.
»Heilige Scheiße, schau dir das an! Ich bin stolz, ehrlich stolz darauf, dass unsere große Nation von Männern mit so außergewöhnlicher Ausdauer und Leidenschaft geleitet wird. Von Standfestigkeit ganz zu schweigen.«
Standfestigkeit. Das war es.
»Jetzt haben wir ihn«, sagte ich. »Das ist unsere Chance.«
»Ich weiß nicht, was du meinst. Weniger un-allein als im Moment könnte unser Mann gar nicht sein.«
»Nein, aber bald wird er allein sein. Ich will, dass du ihn weiter beobachtest …«
»Ja,
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