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Die einsamen Toten

Titel: Die einsamen Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Booth
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Lockerbie-Bombe, das Jahr, in dem Salman Rushdie untertauchen musste und George Bush senior Präsident der Vereinigten Staaten geworden war. Aber es war auch das Jahr gewesen, in dem Angie aus dem Haus ihrer Pflegeeltern gegangen und niemals mehr gesehen worden war. Zumindest nicht von ihrer Schwester.

    Anderen Kindern haftete das Jahr im Gedächtnis wegen der Ninja Turtles und wegen Bill’s and Ted’s Excellent Adventure , wegen Cagney und Lacey und den Goss Brothers mit ihren getuschten Wimpern und dem Lipgloss. Einige von Dianes Freunden waren so heftige Fans der beiden Brüder, dass sie schwarze Bomberjacken, zerrissene Jeans und Doc-Martens-Stiefel mit Schnappverschlüssen an den Schnürsenkeln trugen. Aber Diane war damals vierzehn Jahre alt gewesen, und ihre Pflegeeltern hatten ihr nicht einmal erlaubt, zerrissene Jeans zu tragen. Sie musste sich mit einer Garfield-Figur mit Saugnäpfen an den Füßen begnügen, die sie am Autofenster befestigt hatte, wohin auch immer sie gefahren waren. Garfield hatte ihr dabei geholfen, auf den Straßen des Black Country nach Angie zu suchen.
    Aber selbst Garfield hatte versagt. Nachts hatte sie in ihrem Zimmer gesessen, Pop-Musik gehört und sich den Kopf zerbrochen, wohin Angie wohl gegangen war. Angie hatte von hei ßen Rave-Partys erzählt, davon, dass sie Ecstasy nahm und Musik von Acid House und KLF hörte. Diane stand eher auf Schnulzen wie Belinda Carlisles »Heaven is a Place on Earth« und Bobby McFerrins »Don’t Worry, Be Happy«. Die Welt war ein grauer Ort geworden. Auch in der Schule hatte sie eine Weile jedes Interesse verloren. West Bromwich Albion war in die zweite Liga abgestiegen und wechselte beinahe jährlich den Manager. Ron Atkinson war es, über den sich die Jungs damals am meisten ereiferten.
    Alle diese kleinen Details waren in Frys Gedächtnis eingegraben, als wären sie von größter Bedeutung, um die Erinnerung festzuhalten. Ihre letzte Erinnerung an ihre Schwester. Angie war ungewöhnlich aufgeregt gewesen, als sie an diesem Abend in ihre Jeans schlüpfte. Sie war auf dem Weg zu einer Rave-Party. Ein Junge sollte sie abholen. Diane hatte wissen wollen, wo diese Party stattfand, aber Angie hatte nur gelacht und erklärt, das sei ein Geheimnis. Rave-Partys fänden immer
an geheimen Orten statt, sonst käme sofort die Polizei und würde sie verjagen. Aber sie taten ja nichts Schlimmes, sie hatten nur ihren Spaß. Als Angie an diesem Abend aus dem Haus gegangen war, hatten ihre Pflegeeltern nur noch pro forma den Versuch gemacht, herauszufinden, wohin. Angie war schon seit einiger Zeit ein großes Problem für sie und nicht mehr zu bändigen.
    In der Rückschau wusste Fry, dass sie ihre ältere Schwester regelrecht vergöttert hatte. Aus diesem Grund hatte sie auch nie etwas Schlechtes über sie glauben können. Jedes Mal, wenn sie von einem Pflegeheim ins nächste weiterzogen, war es die Schuld der Pflegeeltern gewesen, nie die von Angie.
    Und als Angie mit sechzehn Jahren endgültig aus ihrem Leben verschwunden war, hatte sich die junge Diane an ein idealisiertes Bild von ihr geklammert, an eine letzte, immer stärker verblassende Fotografie.
     
    Als Ben Cooper an diesem Abend in die Welbeck Street Nummer acht nach Hause kam, traf er auf Mrs Shelley. Sie stand auf dem winzigen Flur vor der Treppe, die nach oben in die zweite Wohnung führte, und drückte eine lila gestreifte Papiertüte an sich. Sie wirkte ein wenig überrascht, als sie ihn sah.
    »Oh, Sie sind’s, Ben.«
    »Ja, ich wohne noch hier, Mrs Shelley. Haben Sie auf mich gewartet?«
    »Nein, ich will nach oben.«
    »Aha, verstehe.«
    »Sie ist sehr nett. Sie werden sie mögen.«
    »Werde ich das?«
    »O ja.«
    »Und wen werde ich mögen?«
    »Peggy«, erklärte Mrs Shelley und hob ein wenig die Stimme, als glaubte sie, er sei vielleicht in der Zwischenzeit taub geworden.

    »Ich kenne keine Peggys.Warten Sie mal … zieht sie vielleicht in die Wohnung über mir?«
    »Aber natürlich. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass alles geregelt ist.«
    »Nein, haben Sie nicht.«
    »Also, auf jeden Fall ist es geregelt.«
    »Und wer ist sie, Mrs Shelley?«
    »Zufälligerweise habe ich eine Freundin, die in Chicago lebt. Sie ist vor fast dreißig Jahren mit ihrer Familie in die Staaten emigriert.«
    »Wie schön für sie.«
    »Wir sind alte Schulfreundinnen. Ich war sehr traurig, als sie wegging. Aber ihr Mann hat in den Siebzigern seinen Job verloren, als die Firma, für die er arbeitete, Pleite

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