Die einsamen Toten
mit ihr zu tun haben?«
»Ganz sicher.«
»Wollen Sie mir was verkaufen?«
»Nein, das auch nicht. Mein Name ist Angela. Alle nennen mich Angie.«
»Tut mir Leid, aber ich kenne Sie wirklich nicht.«
Sie lachte. »Angie Fry. Können Sie damit was anfangen?«
Allmählich begann Cooper die Ähnlichkeit zu sehen, die Augen, die schmalen Schultern und die Art, wie sie dastand, alles, was ihm so bekannt vorgekommen war. Trotzdem war er völlig unvorbereitet auf den Schock, als sie endlich mit der Erklärung herausrückte.
»Ich bin Dianes Schwester«, sagte sie.
19
H oward Renshaw schaltete den Fernsehapparat aus, als die Nachrichten vorbei waren. Er und Sarah blieben noch einen Moment schweigend sitzen.
»Dieser Chief Inspector scheint mir ein ausgesprochen ernsthafter Mensch zu sein«, sagte Sarah schließlich. »Er macht den Eindruck, als würde er zu Ende führen, was er angefangen hat.«
»Ja«, erwiderte Howard.
Er spielte eine Weile mit der Fernbedienung und schaltete den Apparat ein und wieder aus. Das rote Licht blinkte, und das statische Rauschen knisterte.
»Vielleicht hätten wir doch mit Neil Granger reden sollen«, meinte er.
»Er ist tot. Jetzt ist es zu spät.«
»Vielleicht hat er Emma mal jemandem gegenüber erwähnt.«
Sarah hob den Kopf und schaute ihren Mann interessiert an. »Du meinst, Lucas Oxley, seinen Onkel.«
»Ich dachte eher an seinen Bruder.«
»Oh. Philip.«
»Ja, Philip. Ich weiß nicht, wo er jetzt wohnt, aber das könnte ich herausfinden.«
»Warum nicht?« Sarah zögerte. »Es wundert mich, dass wir nicht schon eher daran gedacht haben.«
»Neils Ermordung hat mich auf die Idee gebracht.«
Sarah stand auf und bewegte sich, wie von einer unsichtbaren Kraft getrieben, auf die Bücherregale zu. Zärtlich strich sie über die Buchrücken, wie sie es so oft tat.
»Wenn ich mich recht entsinne, hast du mal gesagt, dass die
Grangers und die Oxleys keine Leute sind, für die Emma viel übrig hatte. Du sagtest, sie hätte den Kontakt zu Neil Granger ohnehin nicht aufrechterhalten.«
»Habe ich das gesagt?«
Sarah betrachtete stirnrunzelnd eines der Bücher, rückte ein Lesezeichen gerade, zog das Buch heraus und hielt es an ihr Gesicht, um daran zu riechen.
»Ich bin ganz sicher.«
»Vielleicht spreche ich trotzdem mal mit diesem Philip.«
Seufzend beugte Sarah sich vor und drückte die Stirn gegen die Seitenwand des Bücherregals. Sie schloss die Augen, als meditierte sie oder bemühte sich, eine innere Vision deutlicher zu sehen.
»Ich frage mich, was Emma jetzt macht«, sagte sie. »Was meinst du?«
Howard wandte sich ab. Im Moment konnte sie ihn nicht sehen. Er schaltete den Fernsehapparat wieder ein, drehte die Lautstärke aber sofort herunter. Es lief noch immer Werbung.
»Ich kann es mir nicht vorstellen«, antwortete er.
»Ich schon. Ich stelle es mir die ganze Zeit über vor und versuche, mir auszumalen, was sie zu jeder Stunde des Tages macht.«
»Sarah«, begann Howard, »hast du jemals darüber nachgedacht, dass es vielleicht besser wäre, wenn wir wüssten, dass Emma nicht mehr am Leben ist?«
Seine Frau erstarrte. Sie hielt die Augen weiter geschlossen, aber sie sah ihre innere Vision in tausend Stücke zerbrechen.
»Wie kannst du so etwas sagen?«
»Nur so. Als ich mir eben anhörte, was der Chief Inspector in den Nachrichten über Neil Granger sagte, kam mir der Gedanke, dass Grangers Familie wenigstens weiß, was mit ihm geschah. Sie kann sagen: ›Hier ging es zu Ende, und hier beginnt der Rest unseres Lebens.‹«
»Ich will dich nie wieder so reden hören«, sagte Sarah und
versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Du weißt genauso gut wie ich, dass Emma lebt.«
»Natürlich«, beeilte Howard sich zu sagen. »Es tut mir Leid.«
Sarah drehte sich um und sah zu ihrem Mann hinüber. Aber sie konnte nur seinen Hinterkopf mit der zunehmend größer werdenden kahlen Stelle sehen. Hinter ihm flackerte der Vorspann für einen Tierfilm über den Bildschirm. In den Zweigen eines Baumes hockend, schwenkte ein Raubvogel mit gebogenem Schnabel den Kopf und starrte mit reglosen gelben Augen in die Kamera, ohne auf den Todeskampf einer kleinen Eidechse zu achten, die sich in seinen Krallen wand.
Ben Cooper erinnerte sich gut an das erste Mal, als Diane Fry ihm gegenüber ihre Schwester erwähnt hatte. Er hatte sich schuldig gefühlt, als hätte er ihr etwas Schmerzhaftes entrissen, das sie lieber für sich behalten hätte.
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