Die einsamen Toten
Zähnen. Manche sollten ihren Mund besser ganz fest zu lassen.«
Fry suchte die Akten zusammen, während Cooper aus dem Wagen stieg und die Straße überquerte. Er war froh um die Kälte und atmete tief durch. Offenbar hatte er die ganze Zeit über im Wagen die Luft angehalten.
Während Fry ihn niedergemacht hatte, war Cooper eine merkwürdige und überraschende Erkenntnis gekommen. Während die Renshaws davon überzeugt waren, dass ihre vermisste Tochter gesund und am Leben war und bald gefunden werden würde, lebte Diane Fry vielleicht genau in der gegenteiligen Annahme. Trotz ihrer Anstrengungen, ihre Schwester aufzuspüren, konnte sich Cooper des Gefühls nicht erwehren, dass sie tief in ihrem Inneren daran glaubte, dass Angie tot war.
22
B en Cooper war mit Police Constable Tracy Udall vor der Kirche St. Asaph verabredet. Withens ging ihm allmählich auf die Nerven. Aber er hatte keinen Grund, sich zu beklagen. Diane Fry musste sich mit der Fantasiewelt der Renshaws herumschlagen, worum er sie wahrlich nicht beneidete. Aber auch er hatte es nicht leicht. Um den Geheimnissen der Familie Oxley auf die Spur zu kommen, hätte er mit jedem Familienmitglied einzeln sprechen müssen. Und das war leichter gesagt als getan. Die Oxleys schienen aneinander zu hängen wie die Kletten und ließen einander nie aus den Augen. Eine bemerkenswerte Verbundenheit für eine Familie. Oder war es etwas anderes?
Vielleicht war es tatsächlich an der Zeit, seine Strategie zu ändern. Er hatte es mit Höflichkeit und Freundlichkeit versucht, und es hatte nicht funktioniert. Da hatte er sich bei den Oxleys zu viel erhofft. Ein wenig mehr Subtilität war jetzt gefragt. Ein weniger durchsichtiger Ansatz, damit sie ihn nicht so leicht kommen sahen.
Auch Udall sah heute müde aus. Cooper fragte sich, ob ihr Sohn ihr wieder Probleme bereitet hatte. Fast hätte er sich danach erkundigt. Aber dann fiel ihm ein, dass er nicht wusste, ob Udall sein Interesse an ihrem Privatleben mehr zu schätzen wusste als Diane Fry.
Auch jetzt lungerte wieder eine Gruppe Jugendlicher an der Bushaltestelle herum. Zwei davon waren die beiden Vierzehnoder Fünfzehnjährigen, die er zuvor dort gesehen hatte, aber sie trugen über ihren Jeans Fußballshorts des FC Sheffield Wednesday. Der Dritte im Bunde war der kleine Junge mit dem
kurz geschnittenen Haar und der frappierenden Familienähnlichkeit.
Langsam bekomme ich wenigstens die Namen auf die Reihe, dachte Cooper. Die beiden jungen Burschen waren sicher Ryan und Sean, von denen zumindest einer Lucas Oxleys Sohn war. Der Kleinere war zweifellos Jake, der kleine Teufel.
Jeder der Jungen besaß offensichtlich einen eigenen iPod. In ihren Ohren steckten Stöpsel, von denen dünne Kabel zu ihren Jacken führten. Zweifellos lauschte jeder seiner eigenen Hitparade, ohne die das Leben eines Teenagers heutzutage nicht mehr vorstellbar schien. Ben Coopers Vater hatte das mal »in Musik erstarrte Pubertät« genannt.
Aber irgendetwas war an den Oxley-Jungen anders. Sie waren zwar auch in ihre eigene Klangwelt versunken, schienen aber immerhin noch über Augenkontakt und Körpersprache miteinander zu kommunizieren. Als Cooper die Straße entlangfuhr, drehten sie sich um und beobachteten ihn. Die Oxleys schienen sich als Familie so nahe zu stehen, dass sie einander ihre Gedanken auf geheimnisvollen Wegen zukommen lassen konnten. Vielleicht wurde Lucas Oxley bereits per Telepathie vor ihm gewarnt. Cooper fragte sich, welche Begleitmusik dabei in den Ohren der Oxley-Jungen dudelte. Hip-Hop vielleicht?
In der Waterloo Terrace hatten die Kinder auf dem Gelände vor den Gärten eine Art Fort gebaut. Aus dem Holz, das sie aus dem Hof hinter der Häuserreihe herangeschleppt hatten, hatten sie die Mauern errichtet, und an den vier Ecken erhoben sich Türme aus Abflussrohren. Das einen knappen Meter hoch aufgeschichtete Holz sah reichlich wacklig aus. Als offizieller Spielplatz wäre das Konstrukt von der Gemeinde sicher nie genehmigt worden.
»Soviel ich weiß, haben die Vermieter mal ein paar Arbeiter hergeschickt und das abreißen lassen«, erklärte Udall. »Aber die Kinder haben sofort wieder was Neues gebaut.«
»Es sieht aus, als rechneten sie mit einer Belagerung«, meinte Cooper.
Das Kreischen von Kettensägen schien alle seine Besuche in der Waterloo Terrace als Hintergrundgeräusch zu begleiten. Cooper stellte sich vor, wie der muskelbepackte Scott und sein Cousin Glen die schweren Schwellen zersägten, die
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