Die einsamen Toten
Hättest du gern eine neue Kreditkarte? Oder vielleicht einen Kleinkredit für einen Urlaub im Ausland? Oder möchtest du einem Buchclub beitreten?«
Randy schaute ihn verächtlich an und leckte sich die Schnauze.
»Ja, ich weiß, was du willst. War doch nur Spaß. Hey, was ist das denn? Eine Postkarte.«
Auf der Vorderseite der Postkarte war eine Aufnahme von Chatsworth House zu sehen. Cooper versuchte immer erst, zu erraten, von wem die Postkarte war, bevor er sie umdrehte und den Text las. Aber er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wer sich die Mühe machte, ihm aus Chatsworth, das nur wenige Meilen entfernt lag, eine Karte zu schicken.
Als er schließlich sah, von wem die Karte war, schoss ihm zunächst der kaltherzige Gedanke durch den Kopf, dass sie bestimmt aus dem Souvenirshop gestohlen worden war. Aber das war unlogisch. Denn um Chatsworth House überhaupt betreten zu können, hätte die Absenderin erst Eintritt zahlen müssen.
Auf der Rückseite stand: »Tut mir Leid wegen neulich. War toll von Ihnen. Danke. Ich weiß, Sie treffen die richtige Entscheidung.« Die Unterschrift lautete: »Gruß, A.«
»Sie ist von Angie«, erklärte Cooper.
Randy gab ein Geräusch von sich, das einem Vogelzwitschern ähnelte, daraufhin fing er zu husten an, als versuchte er, etwas hervorzuwürgen.
»Lass das«, seufzte Cooper. »Du wirst schon nicht gleich an Unterernährung eingehen.«
Die Katze stand auf und stolzierte mit zuckendem Schwanz Richtung Küche davon.
»Angie«, sagte Cooper, der die Postkarte ein zweites Mal las, »was soll das heißen, ich werde die richtige Entscheidung treffen? Welche richtige Entscheidung?«
Dieses Mal gab die Katze keine Antwort. Sie war bereits in der Küche und tat so, als würde sie ihn nicht hören. Cooper drehte die Postkarte wieder um und betrachtete stirnrunzelnd die Fotografie von Chatsworth House, als müsste er irgendeinen
versteckten Hinweis enträtseln. Chatsworth? Gab es da eine Verbindung? Versuchte Angie, ihm damit etwas mitzuteilen?
»Das ist zu subtil für mich«, sagte er.
Er ließ die Post auf den Tisch fallen und ging in die Küche. »Randy«, sagte er, »wie kommt es, dass ich plötzlich mit mir selbst spreche?«
Auf Coopers Schreibtisch in der West Street waren Kopien der Berichte des Jugendamtes über die Oxleys eingetroffen. Die Besuche in der Waterloo Terrace und die Treffen in den jeweiligen Büros des Jugendamtes waren darin protokolliert und zusammengestellt. Die Berichte umfassten mehrere Seiten. Cooper wusste, dass er wahrscheinlich nicht dazukommen würde, auch die älteren Berichte durchzulesen. Die Besuche hatten 1986 begonnen, und der letzte lag gerade vier Wochen zurück, hatte also Anfang April stattgefunden.
Zusammen mit den Besuchen ihrer Vermieter, der Peak-Wasserwerke, von Vertretern anderer Gemeindeeinrichtungen wie dem Amt für Umwelthygiene und Erziehungswesen und zuletzt der Polizei ergab das eine beeindruckende Liste. Kein Wunder, dass sein tägliches Auftauchen wenig Eindruck auf die Oxleys gemacht hatte. Für sie hatte er sich nur als der Letzte in einer langen Reihe von offiziellen Wichtigtuern dargestellt, die nichts Besseres zu tun hatten, als in ihrem Leben herumzuschnüffeln und Informationen über ihre Privatangelegenheiten zu verlangen. Und das alles offensichtlich nur mit dem Ziel, einen Vorwand zu finden, um sie aus ihren Häusern zu ekeln. Dass überhaupt einer der Oxleys mit ihm gesprochen hatte, sollte er eigentlich als Kompliment auffassen. Selbst ein »Verpiss dich!« war mehr, als manche Gemeindevertreter erreicht hatten.
Als er die Berichte über die Oxley-Jungen gerade ein zweites Mal durchlas, erreichte Cooper ein Anruf. Es war Fran Oxley.
»Wollen Sie immer noch mit mir reden?«, fragte sie.
»Natürlich.«
»Ich dachte, Sie hätten es mittlerweile vielleicht aufgegeben.«
»So leicht gebe ich nicht auf.«
»Können Sie heute Abend zu mir kommen? Es geht leider nicht eher, aber so gegen neun? Bis dahin bin ich von der Arbeit zu Hause.«
»Ja, ich komme. Worüber wollen Sie denn mit mir reden?«
Fran zögerte einen Moment, schien es sich aber dann anders zu überlegen. »Wenn Sie heute Abend kommen«, antwortete sie, »erzähle ich Ihnen von Neil.«
Cooper legte grinsend den Hörer auf. Die Tatsache, dass tatsächlich jemand mit ihm sprach, erfüllte ihn mit größter Befriedigung. Einen Moment lang ging ihm der Gedanke durch den Kopf, die Oxleys könnten ihm vielleicht einen Streich
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