Die einsamen Toten
spielen. Aber Fran hatte ehrlich geklungen, wenn auch ein wenig unsicher.
Leise summend wandte er sich wieder den Berichten zu. Dabei bemerkte er, dass gegen die Oxleys eine ASBO verhängt worden war, das heißt, eine zivilrechtliche Verfügung wegen antisozialen Verhaltens.
»Du meine Güte. Kein Wunder, dass Lucas Oxley immer wieder betont hat, dass er es nicht zulassen würde, dass seine Jungs in Schwierigkeiten gerieten.«
Schuldbewusst blickte Cooper hoch und hoffte, dass ihn niemand im Büro gehört hatte. Er hatte nicht einmal die Katze als Entschuldigung.
Eine ASBO-Verfügung änderte natürlich alles. Hartnäckige jugendliche Straftäter stellten ein heikles Problem für die Polizei dar. Erfahrene Beklagte wussten, dass sie bei jeder einzelnen Beschuldigung am besten auf »nicht schuldig« plädierten. Sie hatten mittlerweile gelernt, dass ihr Fall damit automatisch als Krongerichtsverfahren behandelt werden musste und dass dort Geschworene das Urteil fällen würden.
Man musste sein Glück versuchen. Dann würden sie sich eine Geschichte ausdenken, um ihre Handlungen zu erklären. Irgendeine Geschichte. Welche, war egal. Oft verzichteten sie sogar auf jede Verteidigung und überließen es ihren Anwälten, die Argumentation der Staatsanwaltschaft zu zerpflücken und jeden formalen Verfahrensfehler anzuprangern, der ihnen unterkam.
Manche Verteidiger waren mittlerweile so versiert darin, aufgrund eines Formfehlers einen Freispruch zu erreichen, indem sie so lange an den verfahrensrechtlichen Details herumkritisierten, bis selbst der belastendste Schuldbeweis vor Gericht nicht mehr herangezogen wurde. Alle Polizeibeamten hatten gelernt, dass es in ihrem beruflichen Dasein nichts Wichtigeres gab, als sich an das korrekte Procedere zu halten, wenn sie eine Verurteilung erreichen wollten. Eine vollständig dokumentierte Beweiskette, ein korrekt ausgeführter Durchsuchungsbefehl, ein peinlich genau nach den Regeln geführtes Verhör – unter den gestrengen Augen des Gerichts waren das die einzigen Waffen, auf die sie sich verlassen konnten. Gerechtigkeit,Wahrheit, das Leid der Opfer – das alles schrumpfte zu unbedeutenden Randproblemen zusammen.
Und sogar die Zeit arbeitete meistens gegen sie. Die Verteidigung fand immer öfter Mittel und Wege, den Fall so lange hinauszuzögern, bis die Zeugen vergaßen, was sie gesehen hatten, oder bis sie ihre Meinung änderten oder zu dem Schluss kamen, es könnte vernünftiger sein, doch nicht vor Gericht zu erscheinen.
Aber eine ASBO-Verfügung konnte einen Zivilprozess nach sich ziehen, und das bedeutete, dass vor Gericht nicht dieselbe Beweislast gefordert wurde. Eine bestimmte Anzahl von Beschwerden der Nachbarn reichte bereits aus, dass die Gemeinde eine ASBO erwirken konnte, welche die betroffene Familie dazu verpflichtete, für einen bestimmten Zeitraum – im Fall der Oxleys fünf Jahre – antisoziales Verhalten zu unterlassen.
Doch der Haken an der Sache war der, dass eine ASBO zwar eine zivilrechtliche Klage war, die Verfügung zu brechen jedoch eine strafbare Handlung darstellte und mit einer Verurteilung zu einer Haftstrafe geahndet werden konnte.
Natürlich konnte der Druck, der von einer ASBO ausging, auch bedeuten, dass die Betroffenen größte Anstrengungen unternahmen, um entsprechende Vergehen zu verschleiern.
Cooper versuchte, sich Lucas Oxley vorzustellen. Er kam ihm vor wie ein Mann, dem ernsthaft daran lag, seine Familie bei der Stange zu halten, der aber auch geradezu besessen davon war, sich nicht in die Karten blicken zu lassen. Wie weit würde Lucas Oxley gehen, falls er annehmen müsste, dass einer aus seiner Familie doch aus der Reihe getanzt war?
In dem Papierstapel auf seinem Schreibtisch fand Cooper auch Kopien der Vorstrafenregister der Oxleys, die er kurz durchblätterte. Dabei stellte er fest, dass Scott Oxley drei Jahre zuvor wegen Sachbeschädigung verurteilt worden war, aber Bewährung bekommen hatte. Das war an sich keine Überraschung. Aber wer war Craig Alan Oxley, sechzehn Jahre, der mit ihm zusammen angeklagt worden war?
»Wer ist dieser Craig?«, fragte Cooper laut.
Und schließlich war da noch eine zwei Jahre alte Verurteilung. Und wieder betraf sie Scott, der zu fünfzig Stunden gemeinnütziger Arbeit verdonnert worden war, weil er sich ohne Einwilligung des Besitzers ein Fahrzeug »ausgeliehen« hatte. Wieder hatte er zusammen mit Craig Alan Oxley, siebzehn Jahre, vor Gericht gestanden.
»Craig? Es gibt doch keinen
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