Die einsamen Toten
für ihn gleich nach dem Grinsen.
»Wir glauben, dass sie nicht genehmigte bauliche Veränderungen
vorgenommen haben. Und die werden vermutlich den Ausschlag geben«, sagte Venables. »Sie sind sich selbst die ärgsten Feinde, fürchte ich.«
»Ich weiß. Aber das heißt nicht, dass sie es nicht verdienen, Freunde zu haben.«
»Ach ja? Und beabsichtigen Sie, in diese Lücke zu springen? Als Freund der Oxleys? Ich weiß, dass sich die Polizeiarbeit heutzutage sehr von früher unterscheidet. Aber ist das wirklich Ihre Aufgabe?«
Cooper biss die Zähne zusammen. Selbstverständlich war das nicht seine Aufgabe. Das musste er sich nicht von Venables sagen lassen. Dafür hatte er Diane Fry.
»An Ihrer Stelle würde ich mir meine Freunde sorgfältiger auswählen«, meinte Venables.
Und dann grinste er.
32
D etective Constable Murfin betrachtete betrübt die Überreste einer Vanilleschnitte auf seinem Schreibtisch, deren appetitlich gelb glänzender Zuckerguss vor seinen Augen zu staubigen Kuchenkrümeln zerfallen war.
»Kein Hinweis auf ein früheres Tagebuch«, sagte er. »Und mit geilen Kunsterziehern kann ich auch nicht dienen. Die kleine Stark hat mich ausgelacht, als ich ihr mit ein paar Namen kam. Für ein junges Mädchen hat sie ein recht deftiges Vokabular.«
»Das ist nicht wichtig, Gavin«, sagte Diane Fry.
»Nicht wichtig?«
»Nicht jetzt.«
»Das hat mich Stunden gekostet.«
»Wenn Emma Renshaw nach Withens zurückkam, dann ist die Person, nach der wir suchen, näher an ihrem Zuhause als an der Kunsthochschule von Birmingham zu finden.«
»Richtig«, stimmte Murfin ihr zu. »Du hast Recht.«
Er überlegte einen Moment. »Sag mal«, meinte er, »der Tag von Emmas Verschwinden... Wissen wir eigentlich, wie Howard Renshaw diesen Tag genau verbracht hat?«
Ben Cooper fiel der Mann aus der sonntäglichen Gruppe in Somerfield’s Supermarkt wieder ein. Erst am Sonntag zuvor hatte er versucht, ihm eine Geschichte über Trickdiebstähle in Southwoods zu erzählen, aber Cooper hatte kaum auf ihn geachtet. Es hatte sich nach Kleinkram angehört, um den sich Gott sei Dank ein anderer kümmerte. Aber vielleicht hätte er doch besser hinhören sollen. Hatte der alte Mann nicht auch einen Vorfall erwähnt, bei dem es um echte Antiquitäten ging?
»Und auf ihrem Weg nach Southwoods Grange müssen sie genau an meinem Fenster vorbeigefahren sein.«
Und was hatte er noch gesagt? Außer Golden-Delicious-Äpfeln und Ananasstücken fiel Cooper zunächst nichts ein. Doch dann erinnerte er sich: Autokennzeichen.
Am Freitagnachmittag setzte sich die Käuferschar im Supermarkt völlig anders zusammen. Auch einige Leute vom Personal kannte er nicht. Cooper stellte sich im Büro des Filialleiters vor und erhielt die Erlaubnis, mit den Kassiererinnen, den Packkräften, den Einkaufswageneinsammlern und der Frau am Zigarettenverkaufsstand zu sprechen. Eine der älteren Kassendamen glaubte, sich an den Mann mit dem Spazierstock zu erinnern, wusste aber keinen Namen. Der Kunde zahlte immer bar, sagte sie.
»Und er kommt immer am Sonntag, glaube ich«, fügte sie hinzu.
»Ja, das stimmt.«
»So wie Sie.«
»Ja, das ist richtig.«
»Sie sind der mit den Tiefkühlmahlzeiten und der Boddington-Sechserpackung, stimmt’s?«
»Ja.«
»Ich wusste ja gar nicht, dass Sie von der Polizei sind.«
Cooper ging weiter. Jetzt wusste die Kassiererin mehr über ihn als über den Mann mit dem Spazierstock. Etwas anderes hatte er mit seinen Fragen nicht erreicht.
An diesem Nachmittag sah es in der Gefrierfleischabteilung des Supermarkts auf fatale Weise wie im Obduktionsraum eines gigantischen Leichenschauhauses aus. Sauber verpackt und beschriftet stapelten sich diverse Körperteile in den Gefrierschränken, zum Glück keine menschlichen, sondern Stücke von Kühen, Schafen und Schweinen. Cooper konnte verstehen, weshalb manche Leute Vegetarier wurden. Vielleicht bestand der Trick
darin, nicht genau hinzusehen, nur auf das Preisschild und das Verfallsdatum auf der Plastikverpackung zu achten und sich nicht der Realität der Knochen und des Fleisches zu stellen.
Draußen vor der Tür versuchte Cooper sich zu erinnern, welchen Weg der Mann genommen hatte, wenn er den Supermarkt verließ. Oft begleitete er Cooper bis zu dessen Wagen und unterhielt sich noch mit ihm, während er seine Einkäufe verstaute. Dann verabschiedete sich Cooper, stieg ein und fuhr zum Ausgang des Parkplatzes. War ihm je aufgefallen, welchen Weg
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