Die einsamen Toten
ihn zu Boden, so dass die Glöckchen an seinen Beinen zu bimmeln begannen. Die anderen johlten und scharten sich um den am Boden liegenden Mann.
»Was ist hier los?«, fragte Melvyn.
Zuerst dachten sie, eine der Truppen aus Cotswold würde spontan eine Vorstellung geben. Merkwürdig war nur, dass es keine Musik gab und dass sie den Tanz nicht kannten. Es schien keinerlei Choreografie erkennbar zu sein, und die Beteiligten stürzten ein wenig zu oft, sogar für so zart besaitete Gemüter wie die Tüchlein schwenkenden Moriskentänzer. Und wieso mischte das Publikum mit und stellte sich dabei geschickter an als die Tänzer?
»Eine Schlägerei«, stellte Scott mit bewunderndem Unterton in der Stimme fest. Er hatte gar nicht gewusst, dass sich auch Moriskentänzer prügelten.
»Die da vorne werden verdroschen, oder?«
Trotz des leichten Alkoholschleiers war nicht zu übersehen, dass zwei weiß gekleidete Moriskentänzer von einer Gruppe Fußballfans verprügelt wurden. Bestimmt hatte eine sarkastische Bemerkung den Streit ausgelöst. Aber normalerweise nahmen Auseinandersetzungen nicht dieses Ausmaß an.
Da blickte einer aus der Gruppe auf und stieß den Jungen neben sich an.
»He, schaut mal«, rief er. »Was, zum Henker, ist das denn?«
Die Jugendlichen drehten sich zu den Stufen um und begafften die Border Rats – schwarz gekleidete Gestalten mit geschwärzten Gesichtern,verspiegelten Sonnenbrillen und schweren Stöcken in den Händen.
»He, Kumpel, ihr solltet euch mal waschen!«, rief einer von ihnen. »Seid ihr im Kamin stecken geblieben?«
»Na, du musst gar nicht so finster dreinschauen.«
Scott und Melvyn konnten die anderen hinter sich erregt atmen hören und waren sich ihrer Stärke als Gruppe bewusst. Kurz wechselten sie einen Blick, auch wenn sie wegen der verspiegelten Sonnenbrillen ihre Augen nicht sehen konnten, verstärkten den Griff um ihre Stöcke, beugten sich nach vorne und wippten auf den Zehen hin und her. Frische Energie durchströmte ihre Gliedmaßen. Wie auf Kommando sprangen sie in die Gasse. Ihre Schreie hallten von den Steinmauern wider, als sie ihre Stöcke durch die Luft wirbelten. Und dann griffen sie an.
35
A lex Dearden kostete Gavin Murfin den letzten Nerv. Er verschwendete nur Bandmaterial mit seinem Schweigen. Und nicht nur ein Band, sondern gleich drei, die sich im Befragungsraum in der West Street langsam drehten. Mit einem Rechtsanwalt an seiner Seite war Alex Dearden vollkommen verstummt.
»Würden Sie uns freundlicherweise sagen, weshalb Sie sich den Audi von den Renshaws ausgeliehen haben?«, fragte Diane Fry. »Sie besitzen doch ein eigenes Auto, oder? Einen Mercedes, soviel ich weiß.«
»Mein Klient bestreitet nicht, dass er Mr und Mrs Renshaw bat, ihm ein Fahrzeug zu leihen, als sein eigener Wagen technische Probleme hatte«, sagte der Anwalt. »Er stimmt weiter zu, dass er ein eigenes Fahrzeug besitzt, einen Mercedes. Darüber hinaus lehnt er es ab, weitere Fragen zu beantworten.«
»Bei dem fraglichen Fahrzeug handelt es sich um einen Audi, der in der Gegend von Southwoods gesehen wurde, in der Nähe von Southwoods Grange. Würden Sie uns den Grund nennen, weshalb Sie sich an dem Abend, an dem Sie den Wagen ausliehen, in der Nähe von Southwoods Grange aufhielten?«
Dearden trug wieder eine schwarze Jeans, aber dieses Mal ein anderes T-Shirt. Sein Spitzbart war akkurat gestutzt und fast ebenso dunkel wie sein T-Shirt.
»Wir haben bei der Eden Valley Software Solutions Erkundigungen eingezogen, Mr Dearden. Wie es scheint, haben Sie sich in die Tochtergesellschaft eingekauft, welche die Software verwerten will, von der Sie uns das letzte Mal erzählt haben. So
eine Chance bekommt man kein zweites Mal im Leben geboten. Das könnte ein Vermögen einbringen. Und noch dazu in Ihrem Alter.«
Alex Dearden lächelte verhalten. Sein Anwalt machte Anstalten, ebenfalls zu lächeln, strahlte aber sofort wieder professionelle Ernsthaftigkeit aus, als er sah, dass Gavin Murfin ihn böse anstarrte.
»Um sich diese Gelegenheit nicht entgehen zu lassen, haben Sie sicher schnell eine große Summe benötigt. Wie viel verdienen Sie, Mr Dearden?«
Der Anwalt beugte sich vor und flüsterte mit seinem Klienten.
»Mein Klient ist bereit, seine Einkommensverhältnisse offen zu legen. Er bezieht ein gutes Gehalt und hat nur wenige Ausgaben.«
»Tatsächlich? Aber gestohlene Antiquitäten sind noch lukrativer, kann ich mir vorstellen. Vor allem wenn sie in großen Mengen an
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