Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die einsamen Toten

Titel: Die einsamen Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Booth
Vom Netzwerk:
darauf verlassen hatten, dass die Bergarbeiter sie füttern würden. Ohne die Brotkrümel und Pastetenreste, das Obst und die Schokolade, die den Kumpeln aus ihren Brotzeitboxen fielen, waren die Mäuse verhungert.«
    »Also hat Arthur Scargill unsere Mäuse auf dem Gewissen«, feixte Murfin. »Der Mistkerl.«
    Auch Cooper konnte sich gut an Scargill erinnern. Er war der Anführer der Bergleute während ihres turbulenten Streiks in den 1980er Jahren gewesen. Dabei war es zu nicht wenigen blutigen Schlachten zwischen der Polizei und den Streikposten gekommen. Der Streik würde in Derbyshire nicht so schnell vergessen werden.
    »Ich glaube, jetzt ist er in Rente.«
    »Mist, ich habe vergessen, ihm eine Dankeskarte zu schicken«, sagte Murfin grinsend.
    »Aber eigentlich hätte ich vermutet, dass die Ratten auch hier verendet wären, nachdem die Tunnel fertig waren und die ersten Züge verkehrten«, sagte Cooper. »Die Bauarbeiter sind
zu einer anderen Baustelle weitergezogen, und ihre Baracken wurden abgerissen, oder? Und damit ist auch die Futterquelle für die Ratten versiegt.«
    »Vielleicht waren sie damals zu der Zeit alle tot«, erwiderte Norton. »Aber jetzt sind sie wieder da. Ich kann gar nicht so viel Gift hineinwerfen, wie die Viecher verschlingen, und es scheint ihnen bestens zu bekommen.«
    »Sind wohl Superratten, wie?«
    »Wenn Sie sie so nennen wollen.«
    Dank milder Winter war die Rattenpopulation rasch angewachsen, und die Tiere wurden Jahr für Jahr immer größer. Dort, wo sie sich von den Überresten billiger Fast-Food-Buden ernährten, konnten sie sogar die Größe eines kleinen Hundes erreichen. Auf dem Land lebten Ratten normalerweise von dem Getreide auf den Feldern und waren folglich kleiner und für einen Terrier oder eine Katze leichter zu überwältigen. Aber die zunehmende Anzahl Erholungssuchender hatte ihre Auswirkungen auch auf die Ratten auf dem Land.
    »Wie oft werden die Tunnel überprüft?«, erkundigte sich Cooper.
    »Der mit der Bahn wird regelmäßig inspiziert. Die anderen nicht so oft. Wieso?«
    »Es könnte doch jemand auf die Idee kommen, sich die alten Tunnel mal näher anzusehen. Zumindest bis zum ersten Luftschacht. Das heißt, falls so etwas machbar ist.«
    Norton sah Cooper an, stellte aber die Frage nicht, die ihm auf der Zunge lag.Vielleicht ließ ihn der Ausdruck auf Coopers Gesicht befürchten, dass er die Antwort lieber nicht wissen wollte.
    »Wie lange verlaufen die Hochspannungskabel schon durch den anderen Tunnel?«
    »Schon lange. Seit 1969, lange bevor der Zugverkehr im neuen Tunnel eingestellt wurde.«
    Vierhunderttausend Volt waren in den vergangenen vierunddreißig
Jahren tagtäglich durch den Berg gerauscht. Vielleicht hatte das belebend auf die Rattenpopulation gewirkt.
    »Natürlich wird sich alles ändern, wenn sie die Strecke wieder eröffnen«, sagte Norton.
    »Wenn sie was tun?«
    »Die Strecke verläuft im neueren Tunnel, nicht in dem alten hier. Zuerst müssen sie neue elektrische Leitungen legen. Von fünfundzwanzigtausend Volt ist die Rede. Weil in dem Kanaltunnel keine Dieselloks verkehren.«
    »Kanaltunnel? Wovon, um Gottes willen, reden Sie?«
    »Wahrscheinlich kommt die Sache ohnehin nicht durch«, fuhr Norton fort. »Aber das ist der Plan. Eine Verbindungsstrecke von Liverpool nach Lille in Frankreich durch einen der Tunnel hier. Neun Züge pro Stunde in jede Richtung. Man schätzt, dass man so zwei Millionen LKWs pro Jahr von der Straße wegbekommt. Sie fahren in Liverpool mit ihrem Laster auf den Zug und in Frankreich wieder herunter. Und das verdanken wir diesen Tunneln. Und den Männern, die sich mit Schießpulver drei Meilen durch diese Berge hindurchgesprengt haben.«
    »Waren das dieselben Straßenarbeiter, die auch die Kanäle erbaut haben?«
    »Richtig. Aber keine Iren. Aus irgendeinem Grund waren fast alle Arbeiter an den Woodhead-Tunneln Engländer. Die Lebensumstände hier oben müssen grauenvoll gewesen sein.«
    »Da übertreiben Sie sicher nicht«, meinte Murfin. »Ist nicht unbedingt die Riviera hier.«
    »Nein. Viele von ihnen sind dabei auch ums Leben gekommen. Auf die eine oder andere Art. Es kam immer wieder zu Unfällen, und Krankheiten brachen aus. Der erste Tunnel kostete dreißig oder vierzig Menschenleben, über sechshundert wurden verletzt. Den zweiten Tunnel bauten sie mit Gewölben in erster Bohrung, und das forderte wieder Dutzende von Todesopfern. Woodhead eilte damals der Ruf voraus, Tod und
Krankheit zu bringen.

Weitere Kostenlose Bücher