Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi
als zu diesem Anlass unpassend bezeichnet hatte, weil es den Rücken bis zu den Rippen und die Arme ganz frei ließ.
Noch barfuß, mit dem himmelblauen Kleidchen am Leib, dessen Dekolleté auf ihrer hellen Haut wie ein zufriedenes Lächeln aussah, ging Alice in die Küche runter und bat Sol, flehentlich die Augenbrauen hochziehend, um ihre Meinung. Du siehst fabelhaft aus, hatte Sol gesagt und ihr einen Kuss auf die Stirn gegeben, so dass Alice gefürchtet hatte, dass die Schminke verlaufen könnte.
Flink und doch mit der Vorsicht eines Menschen, der sich beobachtet weiß, bewegte Fabio sich in der Küche. Alice trank in Schlückchen von dem Weißwein, den er ihr eingeschenkt hatte. Der Alkohol löste kleine Explosionen in ihrem seit mindestens zwanzig Stunden leeren Magen aus, die Wärme verteilte sich in den Adern, stieg ihr langsam zu Kopf und spülte den Gedanken an Mattia hinweg, wie das Meer, wenn es sich am Abend den Strand zurückerobert.
Vom Tisch aus musterte sie aufmerksam Fabios Gestalt, die klare Linie, mit der seine kastanienbraunen Haare am Hals abschlossen, seine nicht eben schmalen Hüften und die Schultern, die sein Hemd ein wenig blähten. Und dabei ließ sie sich zu dem Gedanken hinreißen, wie sicher man sich fühlen musste, wenn man von diesen Armen festgehalten wurde und nicht mehr selbst für sich entscheiden konnte.
Sie hatte seine Einladung angenommen, weil sie Mattia von ihm erzählt hatte und weil es, wie sie jetzt sicher glaubte, für sie niemals wieder etwas geben würde, was der Liebe so nahe kam wie das, was sie hier vielleicht finden konnte.
Fabio öffnete den Kühlschrank und schnitt von einem Päckchen Butter ein Stück ab, das nach Alices Schätzung mindestens achtzig, neunzig Gramm wog. Das gab er in die Pfanne, um den Risotto darin glatt zu rühren; die Butter schmolz und löste sich in all ihre gesättigten tierischen Fettsäuren auf. Dann löschte er die Flamme und rührte den Risotto zwei Minuten mit dem Holzlöffel um.
»So, fertig«, sagte er.
An einem Geschirrtuch, das über einem Stuhl hing, wischte er sich die Hände ab und kam mit der Pfanne in der Hand an den Tisch.
Alice warf einen panischen Blick hinein.
»Für mich nur ganz wenig«, sagte sie schnell, indem sie mit den Fingern eine Prise andeutete, bevor er ihr einen Kochlöffel dieses kalorienreichen Breis auf den Teller häufen konnte.
»Magst du kein Risotto?«
»Doch«, log sie. »Ich bin nur allergisch gegen Pilze. Aber ich koste gern.«
Fabio schien enttäuscht, wie er da mit der Pfanne auf halber Höhe vor ihr stand. Er schien sogar ein wenig Farbe zu verlieren.
»Verflixt, das tut mir aber leid. Wenn ich das nur gewusst hätte.«
»Ist doch nicht schlimm. Wirklich nicht.« Alice lächelte ihn an.
»Vielleicht könnte ich dir…«, fuhr er fort.
Alice brachte ihn zum Schweigen, indem sie seine Hand ergriff. Fabio schaute sie an, wie ein kleiner Junge ein Geburtsgeschenk betrachtet.
»Ich möchte aber gern davon probieren«, sagte Alice noch einmal.
Fabio schüttelte entschlossen den Kopf.
»Kommt nicht infrage. Das ist zu gefährlich.«
Er trug die Pfanne fort, und Alice huschte ein Lächeln übers Gesicht.
Eine gute halbe Stunde unterhielten sie sich vor den leeren Tellern, und Fabio musste noch eine Flasche Weißwein entkorken.
Mit jedem Schluck überkam Alice das Gefühl, ein weiteres Stück ihrer selbst zu verlieren. Sie spürte die Flüchtigkeit ihres Körpers und gleichzeitig die massive Präsenz jenes von Fabio, der, die Ellbogen auf die Tischplatte gestützt und die Hemdsärmel bis zu den Oberarmen aufgerollt, vor ihr saß. Der Gedanke an Mattia, der sie in den letzten Wochen nicht losgelassen hatte, schwang nur noch schwach in der Luft wie eine gelockerte Geigensaite, erzeugte einen Misston, der sich aber im Orchesterklang verlor.
»Dann werden wir uns jetzt mit dem Hauptgang trösten«, erklärte Fabio plötzlich.
Alice wurde ganz anders. Sie hatte gehofft, dass das Mahl beendet sei. Stattdessen erhob sich Fabio vom Tisch und zog eine Auflaufform aus dem Backofen, mit zwei Tomaten, zwei Auberginen und zwei gelben Paprika darin, gefüllt mit einer Masse, die wie mit Paniermehl vermengtes Hackfleisch aussah. Die Farbzusammenstellung war hübsch, doch die Gemüse kamen Alice riesengroß vor, und sie hatte das Bild vor Augen, wie diese so am Stück, schwer wie Steine auf dem Grund eines Teiches, in ihrem Magen lagen.
»Was darf ich dir denn geben?«, fragte Fabio.
Alice biss
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