Die Einsamkeit des Barista
gönnen.
Im Gastraum richtete sich Massimo hinter dem Tresen ein und bereitete sich auf die folgenden zwei ruhigen Stunden vor, die der Aperitifzeit vorangingen. Während er alles Notwendige bereitstellte (Panino, kalten Tee und ein Buch, im vorliegenden Fall Little Scarlet von Walter Mosley; es war sinnlos, in der Bar etwas Gehaltvolles lesen zu wollen, weil die Leute einen ständig mit der Entschuldigung unterbrechen, sie wollten was trinken, also kann man ebenso gut einen guten Krimi nehmen), sah er durch die Glastür den Umriss von Pater Adriano, der dort entlangging. Und das erregte seine Aufmerksamkeit.
Weil in den seltenen Fällen, in denen der Pater den Konvent verließ, er gewöhnlich wie abwesend daherspazierte, als habe er kein Ziel, den Blick auf die Wunder des Himmels (Wolken, Bäume, Vögel) und der Erde gerichtet (Blumen, Tiere und manchmal ein anmutiges Mädchen, das sich in den Hüften wiegte, was gelegentlich seinen Blick auf sich zog, im Übrigen ist ja auch nichts Schlimmes dabei, wir sind alle Gottes Kinder, und manche haben eben etwas mehr von der Vollkommenheit des Vaters abbekommen als andere). In diesem Moment jedoch hatte der Kapuziner den Blick zu Boden gerichtet, er ging mit langsamem, aber entschiedenem Schritt. Und – was noch nie geschehen war – er lenkte seine Schritte zur Bar.
Massimo hoffte, dass Tiziana oder die Alten schnell zurückkämen, weil er sich dem nicht gewachsen fühlte, auch nur einen Moment allein mit einem Menschen zu verbringen, der gerade eine Schwester und einen Neffen verloren hatte und der voraussichtlich davon überzeugt war, dass, Fusco hin oder her, der in der Bar ansässige Informationsdienst allzu gut funktioniert hatte. Wenn der Pater wirklich deshalb mit jemandem Streit anfangen will, dachte Massimo, dann aber nicht mit mir. Aber da auf etwas zu hoffen nicht bedeutet, dass es sich auch erfüllt, war Massimo immer noch alleine, als Pater Adriano die Hand auf die Türklinke legte, während aus dem Billardzimmer entspannte Stimmen herüberdrangen, nur unterbrochen vom Klacken der hochglanzlackierten Billardkugeln.
Die Glastür öffnete sich, und Pater Adriano kam herein und setzte sich, nachdem er seine Kutte sorgfältig geordnet hatte, auf einen der Hocker vor dem Tresen.
»Guten Tag«, sagte Massimo.
» Pace e bene, Massimo«, antwortete der Pater, und es schien mehr Segenswunsch als Feststellung.
»Kann ich etwas für Sie tun, als Mensch oder als Barista?«
Der Pater lächelte.
»Als Barista, danke. Ich hätte gern eine Coca-Cola.«
»Wir geben uns dem Laster hin, was?«, sagte Massimo in einem kläglichen Versuch, dem Gespräch etwas Leichtes zu geben, während er die Flasche aus dem Kühlschrank nahm.
»Tja, so ist das wohl. Wer weiß, wann ich mal wieder eine bekomme. Das ist eine meiner Schwächen, sie schmeckt mir so gut …«
»Na ja, so schlimm ist es ja nun auch nicht. Eigentlich liegt der Konvent ja nur einen Kilometer von hier entfernt. Wenn Sie einen kleinen Spaziergang machen, dann schenke ich Ihnen alle Coca-Colas ein, die Sie möchten. Wenn Sie nicht von Ihren Mitbrüdern gesehen werden möchten, dann bringe ich sie Ihnen ins Billardzimmer, da sind Sie in Sicherheit. Ich würde sie Ihnen sogar jetzt nach hinten bringen, aber da läuft gerade der Kurs in Langzeitüberleben.«
Der Pater lächelte weiter, auch wenn es ein wenig mechanisch aussah. Dann stürzte er einen großen Schluck des zuckerhaltigen Sprudelgetränks herunter und zog die Augenbrauen hoch. Im Billardzimmer war das Stimmengewirr verstummt. Massimo sah es förmlich vor sich, wie die vier Alten mit gespitzten Ohren quasi auf dem Boden lagen wie die Rothäute, um mitzubekommen, was Pater Adriano sagte.
»Oh, so einfach ist das nicht. Da, wo ich hingehe, werde ich mich schon glücklich schätzen, wenn ich Wasser zum Trinken finde.«
»Ah. Und wo genau gehen Sie hin?«
»Nach Malawi. Wissen Sie, wo das ist?«
Massimo wusste viel, aber in Geografie kam er nicht weiter als bis zur Toskana, und bis dahin auch nur unsicher.
»Ich muss meine Unwissenheit eingestehen. Nein.«
»Das ist ein afrikanischer Kleinstaat, neben Sambia. Einer von diesen Staaten, die überhaupt nichts haben, kein Öl, keine Diamanten und sonst auch nichts. Sie haben nur einen See und etwas Gestrüpp, das sie anbauen. Bis vor Kurzem haben sie noch hauptsächlich Tabak angebaut. Aber jetzt rauchen wir hier im Westen viel weniger, also müssen sie etwas anderes anbauen. Ich werde in eine dort
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