Die Einsamkeit des Barista
sind es siebzehn. Abhängig vom Kontext.
»Auf jeden Fall war’s so. Eines Tages, im Dezember, kauft Ampelio einen Panettone. Einen. Und jener Panettone ist heilig. Er soll Heiligabend unversehrt erleben, weil man zu Weihnachten eben Panettone isst. Aber Giuliana, die gerade vier Jahre alt war, liebte Süßigkeiten über alles, was in der Familie liegt. Ampelio und Tilde hatten es ihr aber deutlich gesagt: Der Panettone ist für Weihnachten. Wehe, wenn du ihn anrührst.«
Aldo hielt inne, um einen Schluck von seinem Tonicwater zu nehmen.
»Doch Giuliana hat schon ein Auge auf das gute Stück geworfen. Und um auch noch ihre Zähne hineinschlagen zu können, denkt sie sich einen genialen Plan aus. Sie geht in die Küche und holt einen Löffel. Sie sucht den mit dem schärfsten Rand aus. Dann schleicht sie sich eines Nachts in die Speisekammer. Vorsichtig holt sie den Panettone aus seinem Karton, dreht ihn um und fängt an, den Boden mit dem Löffel auszuhöhlen. Danach packt sie ihn sorgfältig wieder ein und stellt ihn an seinen Platz zurück. Niemand würde etwas bemerken.«
Aldo lachte, während Massimo Tiziana ansah, die begeistert der Geschichte lauschte, reglos und gebannt wie die Vögelchen, wenn Schneewittchen anfängt zu singen.
»Aber das Mädchen konnte sich nicht wirklich beherrschen, und in der nächsten Nacht war sie wieder da und kratzte von unten mit dem Löffel. Ich mache es kurz: Am Weihnachtstag nach dem Mittagessen wurde der Panettone mit allen Ehren aufgetragen, der Karton wurde abgezogen und der Kuchen angeschnitten. Doch als Tilde das Messer anlegte, sackte der Arme in sich zusammen wie ein angepiekter Luftballon. Du verstehst, es war praktisch nur noch die äußere Hülle übrig geblieben.«
»Mann, da sahen wir wirklich alt aus …«, sagte Ampelio mit abwesendem Blick.
»Und dann, was ist dann passiert?«
»Das Unerwartete ist dann passiert«, stieg Massimo voll in die Geschichte ein. »Es ist passiert, dass der Großvater, statt an die Decke zu gehen vor Wut, meine Mutter beiseitenahm und sie fragte, was sie getan hatte, weil es nicht zu übersehen war, dass sie es gewesen sein musste. Und meine Mamma hat es ihm erzählt.«
»Und dann?«, fragte Tiziana.
»Und dann, na ja, da war ja nicht mehr viel zu machen«, sagte Ampelio zufrieden. »Wir waren von Haus aus ja nie die großen Denker in der Familie, aber dieses Mädchen musste wohl ein bisschen mehr Grips abbekommen haben. Ein Mädchen, das noch nicht mal zur Schule geht und sich so was ausdenkt, kannst du dir das vorstellen? Und so haben wir ein bisschen diskutiert und ein bisschen gerechnet und dann beschlossen, dass das Mädchen studieren sollte, da gab’s kein Vertun.«
Ein Lächeln erhellte die Gesichter der Anwesenden. Tiziana lächelte, weil die Geschichte zu jenen schönen gehörte, die sogar ihre Protagonisten überleben, und weil Massimos Mamma von einer beinahe unvermeidlichen Bestrafung zu einer Beförderung gekommen war. Die Alten lächelten, als wollten sie sagen, seht ihr, als wir noch jung waren, da haben wir ein Talent quasi im Flug erkannt. Massimo lächelte bei dem Gedanken an den unmöglichen Familienrat, der hinter dem »wir haben ein bisschen diskutiert« steckte und der, nach allem, was man sich erzählte, in einem an Flüchen reichen Monolog von Ampelio bestand, der dann darin gipfelte, dass Tante Enza – die, die so besonders hässlich war – fragte, wo Ampelio denn all die Knete dafür hernehmen wolle, und Ampelio, der antwortete, dass wir schlimmstenfalls halt ein Spielkasino aufmachen, aber mach dir keine Sorgen, dich setzen wir, wenn überhaupt, an die Kasse.
Ampelio trank ein Schlückchen von seinem Amaro, machte eine enttäuschte Handbewegung und fuhr fort: »Tja, und dann hat man endlich einen Ingenieur in der Familie, und was macht sie? Statt als Ingenieur zu arbeiten, wird sie sofort Mamma. Und ich sitze mit einem einzigen Enkel da, der ebenfalls studiert hat und dann unbedingt als Barmann arbeiten will. So viel Mühe und Arbeit, und wir sind nicht einen Meter weitergekommen, maremma cingiale …«
»Du bist doch wohl der Letzte, der sich darüber beklagen kann«, gab Massimo zurück, während er in den Flur zur Bar trat. Ist doch wahr. Du verbringst den ganzen Tag hier, isst und trinkst auf Kosten anderer Leute, jetzt hast du sogar einen Billardtisch, was willst du denn noch von meinem Leben? Ach, denken wir nicht weiter drüber nach. Ein kleines Spielchen konnte ich mir zumindest
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