Die Einsamkeit des Chamäleons
Töchtern weià ich nichts. Alles bitte erst mal nur in der Einzahl. Und um endlich deine Frage von vorhin auf dem Friedhof zu beantworten: Ich weià nur wenig über euren Vater und darüber, was ihn mit meiner Mutter verband und umgekehrt.«
Ulrike schien mit jedem Zug an der Zigarette wieder das beinah trotzige Selbstbewusstsein ihrer ersten Begegnung von vor etwas über vier Stunden zurück zu gewinnen.
»Dann sag mir, weshalb du wirklich hier bist.«
Dieser Satz traf Rebekka völlig unvorbereitet.
»Wie bitte?«
Habe ich etwas übersehen? Ein falsches Detail erwähnt oder ein wichtiges vergessen?
Den gemeinsamen Kindergartenbesuch mit Nils hatte sie sorgfältig recherchiert. Daran konnte es nicht gescheitert sein. Rebekka spürte, wie sie blass wurde und das furchtbar vertraute Gefühl von Enge in ihr hochstieg. Dabei hatte sie lediglich unten im Keller ein, zwei kurze Schübe ihrer Platzangst gehabt. Hier oben im Freien war der Grund dafür ein anderer: Sie war aufgeflogen.
»Test!«, lachte Ulrike. »Bestanden!«
Rebekka fuhr sich verlegen durchs Haar.
»Du bist mir eine!«
Sie wollte nicht zu erleichtert wirken und konnte sich nur langsam wieder beruhigen. Das schnürende Gefühl in ihrem Hals lieà nicht nach, zog von da in den Magen und verstärkte sich in einem MaÃe, dass Rebekka drohte, ohnmächtig zu werden. In dieser Intensität und an diesem für sie völlig ungefährlichen Ort konnte sie sich ihre Panikattacke nicht erklären.
»Was ist mit dir?«, fragte Ulrike nun besorgt, als sie den Schweià auf Rebekkas Stirn und ihre schwere Atmung bemerkte. Sie führte Rebekka durch die Toreinfahrt in den kleinen, noch geschlossenen Biergarten und setzte sie auf einen Holzstuhl. Rebekka weitete mit der Hand etwas den Kragen an ihrem Pullover.
»Ich hol dir ein Glas Wasser!«
Rebekka hielt Ulrike am Arm fest.
»Nein, lass. Sag den anderen, dass ich gegangen bin. Ich kann da nicht noch einmal runter. Wir sehen uns morgen um halb eins im Hackendahl .«
Rebekka erhob sich, nahm ihre Handtasche und umarmte Ulrike.
»Danke für alles.«
Dieser Anfall war unvermutet gekommen. Die ganze Zeit im Keller des Brecht-Hauses, jener unterirdischen Kneipe, in die Rebekka ohne ihren starken Willen, bei den Ottos sein zu wollen, nie hinabgestiegen wäre, hatte sie damit gerechnet. Doch es war gut gegangen. Die dann folgende Attacke musste andere Ursachen haben. Und das machte Rebekka tatsächlich Angst.
Kapitel 17
Erik Assmann war schlecht gelaunt, als er den Wagen in die Einfahrt vor seinem Haus lenkte. Sie hatten Karoline vom Kindergarten abgeholt und den Rest der Fahrt mit dem, wie Erik zu erwähnen nicht müde wurde, schwachsinnigen Hex-Hex-Geträller von Bibi Blocksberg verbracht.
Ingrid stieg aus und warf ihrem Mann einen vorwurfsvollen Blick zu, während sie Karoline aus dem Kindersitz befreite.
»Wenn du getrunken hast, bist du immer so gereizt.«
Erik zog den Schlüssel ab und stieg ebenfalls aus.
»Wenn ich getrunken hätte, dürfte ich gar nicht Auto fahren. Dass ich die letzte Stunde der Veranstaltung mit Mineralwasser verbracht habe, scheint dir völlig entgangen zu sein.«
Ingrid trug ihre Tochter auf dem Arm zur Haustür.
»Wie sollte mir das entgangen sein, du hast ja hundertmal leidend drauf hingewiesen.«
Karoline drückte ihren rosa Plüschhasen an sich.
»Mama! Papa! Müsst ihr immer streiten? Dann klappt das nie mit dem neuen Baby.«
Ingrid kramte mit der freien Hand in der Manteltasche nach ihrem Hausschlüssel.
»Wenn dein Papa so weitertrinkt, klappt das sowieso nicht mit dem neuen Baby.«
Erik kam ihr zuvor und schloss auf.
»Und jetzt beruhigen wir uns alle wieder und kochen einen Eimer voll Spaghetti.«
Er strich seiner Tochter übers flachsblonde Haar, das sie zu zwei dünnen Zöpfen geflochten trug, und gab seiner Frau einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
Sobald er die knarrenden Dielen unter seinen FüÃen vernahm und den vertrauten Geruch des Hauses nach getrocknetem Lavendel, frischer Wäsche und dem, was am Abend zuvor gekocht worden war, wurde Erik zu einem anderen. Dann war er der Familienmensch und aufmerksame Ehemann, den sich Ingrid immer gewünscht und den sie vor allem verdient hatte. All die kleinen Streitereien, wie die eben im Auto, waren doch nur die Würze an einer Suppe, die sonst viel
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