Die Einsamkeit des Chamäleons
Teewasser auf und lehnte sich an den Küchenschrank, dessen untere Hälfte Schuhschrank war und in dessen oberem Teil sich lediglich eine Handvoll Saftgläser, drei Teller und eine kleine Blumenvase befanden, in der Essbesteck für drei, vier Leute steckte. Der Gestank von Essensresten störte sie noch nicht genug, um das Zeug endlich in den Hof zur Mülltonne zu bringen. Ulrike dachte nur an eines: Rebekka endlich für sich gewinnen. Sie tat sich schwer mit dem Gedanken, es noch nie geschafft zu haben, eine Freundin ganz für sich allein zu haben. Es war, als gäben ihr alle immer nur einen Teil ihrer Aufmerksamkeit ab, um sich mit dem Rest viel interessanteren Menschen als Ulrike zu widmen. Als dürfte sie immer nur den ersten Teil der Serie sehen, der an der spannendsten Stelle endete und dessen Fortsetzung verschlüsselt war. Es gab sie doch, diese Thelmas und Louises, die miteinander Pferde stehlen konnten oder zumindest Polizisten ordentlich in Rage quatschten, die sich bei alldem blind aufeinander verlassen konnten bis hin zum Abgrund, in den sie dann, wenn schon, gemeinsam stürzten.
Rebekka schien ihr immer wieder durch die Finger zu gleiten. Seit ihrer ersten Begegnung fühlte sich Ulrike zu Rebekka hingezogen. Ihr Verlangen, zu dieser Frau irgendwie dazu zu gehören, hatte nichts Körperliches. Es erwuchs aus einer tiefen Sehnsucht.
In dem Moment im Keller des Brecht-Hauses hatte ihre perfekte Freundin eine Schwäche gezeigt. Auch ihr Leben war also nicht perfekt und somit eine umso vollkommenere Ergänzung zu ihrem eigenen.
Ulrike drückte die Zigarette im nassen Teebeutel aus und legte beide Hände um die Tasse. Es war ihr ganz einfach ein sehr schöner Gedanke, der sich in selbstvergessenen Momenten zum Tagtraum auswuchs. Sie saà auf dem Bett neben ihrem Plüschbären, in der einen die Teetasse, in der anderen eine weitere Zigarette. Als sie die Augen hob, fiel ihr Blick auf das Bild im Spiegel an der gegenüberliegenden Wand. Die Wand war so nah, dass der Schriftzug -Keep Smiling- auf ihrer Tasse zu lesen war. Das Skurrile dieses kleinen Stilllebens im Spiegel brachte Ulrike zum Lachen. Sie zog an ihrer Zigarette und beobachtete dabei ihr Spiegelbild. So sah Rebekka sie wahrscheinlich auch: als stecken geblieben zwischen Mädchen und Frau.
An einer Stelle des Gespräches im Hackendahl hatte Ulrike eine Veränderung bei Rebekka bemerkt. Dieser Moment war magisch gewesen, Ulrike hielt ihn noch immer vor ihrem inneren Auge fest, er war bestens getroffen. Sie hatte sich gefühlt wie ein Fotograf, der im richtigen Bruchteil einer Sekunde den Auslöser gedrückt hatte.
Ulrike lieà ihre Zigarettenkippe in den erkalteten Tee fallen und stellte die Tasse in die Küche.
Rebekkas Interesse an ihr wäre irgendwann genauso erloschen, frohlockte sie innerlich, denn sie hatte zur rechten Zeit den Keim des Mordverdachts in Rebekka gepflanzt. Ulrikes Vater war gestorben, betrauert und beerdigt. Der Gedanke daran, dass er ermordet worden war, hatte bis dahin Ulrike allein gehört. Nur scheinbar verstört war sie im Hackendahl aufgebrochen, hatte sich nur flüchtig von Rebekka verabschiedet und war dann regelrecht geflohen auf ihrem Fahrrad.
Zufrieden mit sich war sie schon eine StraÃenecke weiter vom Rad gestiegen und gemütlich die AuguststraÃe entlang gelaufen, eine Zigarette in der Hand, das Rad neben sich her schiebend, zusammen mit den Touristen den Blick in die groÃen Fenster der Galerien genieÃend. Nun würde das Pflänzchen des Mordverdachts Wurzeln und Zweige mit Blüten treiben und sich mehr und mehr verankern in gemeinsamen Gedanken, Nachforschungen und somit viel gemeinsamer Zeit und einem Geheimnis, das sie und Rebekka fortan teilten.
Ulrikes Handy klingelte. Mit vor Aufregung feuchten Händen griff sie danach, schaute nicht auf die Nummer, sondern fragte sofort: »Rebekka?«
»Ãh ⦠nein ⦠Nur ich.«
Ulrikes Hände blieben feucht. Diese leise Stimme war das reinste Aphrodisiakum.
»Was heiÃt nur ?«, kokettierte Ulrike. »Schön, dass du anrufst.«
»Wie geht es dir?«
»Naja, so lala â¦Â«, Ulrike seufzte, »ich bin grad â¦Â«
»Hör mal«, unterbrach er sie ungewohnt harsch. Dabei wollte sie gerade weitermachen in ihrer larmoyanten Art, mit der sie ihn immer kriegte.
»Ja?«
»Hattest du heute nicht dein Treffen mit
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