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Die Einsamkeit des Chamäleons

Die Einsamkeit des Chamäleons

Titel: Die Einsamkeit des Chamäleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Holland Moritz
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ließ ihren Blick dabei über den Acker bis zum Waldrand gleiten. Nahm ihre Kopfhörer ab, immer noch rückwärts laufend. Blieb stehen. Ein Entenpärchen quakte in der Nähe, Rebekka kannte die beiden, die sich jeden Frühling auf dem Tümpel im Wald niederließen. Kein weiteres Geräusch war zu hören, Wald und Feld lagen still. Immer noch rückwärts laufend setzte Rebekka ihre Kopfhörer wieder auf.
    Â» I still love you, I still want you, a thousand times the mysteries unfold themselves, like galaxies in my head … «
    Es gab niemanden, der sie verfolgte, es gab keine offene Rechnung, die sie nicht gezahlt hatte. Noch nicht. Und doch fühlte sie sich beobachtet, seit sie wieder hier war. Und das nicht von Faul, dem perversen Spanner, sondern von etwas Bösem, etwas Dunklem, etwas Unsichtbarem und zu allem Entschlossenem.
    Zurück im Haus, unter der Dusche, ging sie gedanklich die nächsten Schritte durch. Es galt, keine Türen einzutreten, nirgends anzuecken, sondern wie nebenbei die Farbe zu wechseln, sich wieder neu anzupassen an das, was Thorsten Milchmeyer umgab.
    Welcher Eingang stand ihr offen und würde nicht zu häufig kontrolliert? Der mit dem Universalschlüssel namens Recherche. Was recherchierte Rebekka bei Recycling, Verschrottung und Co . als Inhaberin eines Brandenburger Partyservice? Das ging nicht zusammen. Wusste Milchmeyer von ihr und dem Partyservice? Wahrscheinlich nicht.
    Allerdings arbeitete Ulrike bei ihm. Ein kurzes Gespräch zwischen Tür und Angel würde genügen, um die Verbindung zu Rebekka herzustellen.
    Auf dem Bücherstapel neben dem Bett lag ein Exemplar der Berliner Obdachlosenzeitung. Für die nächste Ausgabe waren Berliner Unternehmen und ihre caritativen Aktionen angekündigt.
    Das ist es!
    Rebekka stieg aus der Dusche und wickelte sich in ihren dicken Frotteemantel. Sie würde versuchen, Milch­meyer für einen caritativen Einsatz zu gewinnen . Sein Erfolg lag im Recyceln, einem Vorgang, bei dem aus gebrauchten, defekten, unmodernen oder sonst wie nicht mehr benötigten Abfallprodukten ein Sekundärrohstoff gemacht wurde. Es stammte ab vom griechischen Wort cyclus und re , beschrieb also das Zurückbringen eines Rohstoffes in einen wiederverwertbaren Zustand. Recyceln wurde genau dann zum Erfolg, wenn Müll glänzte wie Gold. Den Müll zum Glänzen brachte ein guter Ruf der Verwerter, denn Müll war schon lange kein Müll mehr im Zeitalter des drohenden Erstickungstodes der Menschheit. Müll war zum Konsumgut geworden. Die Menschen, da nahm sich Rebekka nicht aus, kauften Müll, konsumierten Müll, redeten Müll und schieden ihn wieder aus, sich bereits wieder an der Kasse drängelnd, um neuen Müll zu erwerben.
    Und wie in jeder Branche entstand ein guter Ruf nicht selten durch Wohltätigkeit.

Kapitel 24
    Mit dem Rad fuhr Rebekka zur Fleischerei und holte das bestellte Paket Wurstaufschnitt ab, das sie auf ihrem Fahrradkorb festschnallte. Sie hatte nur zwei Kilometer zu fahren. Das Haus, das im Ort das Assihaus genannt wurde, lag am Ortsausgang. Neben einer Suppenküche wurde hier auch eine kleine Werkstatt betrieben. Wer weder Ausbildung noch Arbeit hatte, konnte sich von einem Schreiner, der auch der Hausmeister dieses Vereins war, im besten Fall schulen, im schlimmsten Fall an einem langen, eintönigen Tag unterhalten lassen.
    Von den Räumen in der Erdgeschosswohnung führte eine Terrassentür in den Garten, in dem von Frühjahr bis Herbst junge Mütter mit ihren Kindern und ein paar von ihren Familien vergessene alte Männer und Frauen Kaffee tranken oder Multivitaminsaft aus dem Tetrapack. Ein Ehepaar, beide um die 50, das in Habitus und Aussehen einem DDR-Polizeiruf entsprungen schien, waren die Betreiber dieses Hauses. Sie hatten sich bei der Berliner Tafel e.V. kennengelernt und hier auf dem Land eine neue Berufung gefunden.
    Rebekka lief der Frau direkt in die Arme.
    Â»Na, das gibt ein Buffet!«
    Sie hatte diese energische Art, wirkte drahtig und stark, obwohl sie wahrscheinlich nur 1,50 maß.
    Â»Das pack ich gleich auf die Frühstücksteller. So viel, wie bei Ihren Kunden immer übrig bleibt, bedienense wohl nur ›Tschörmanies näxt Toppmodäls‹, oder?«
    Beherzt griff sie nach dem Wurstpaket und bot Rebekka eine Tasse Kaffee an.
    Sie setzten sich für ein halbes Stündchen bis zum ersten Ansturm in

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