Die Einsamkeit des Chamäleons
legte sie das Handy zurück.
»Tu das nie wieder, Rebekka.«
Er trocknete sein Haar mit einem Handtuch. Zog sich an. Sie schaute ihm zu.
»Was meinst du?«
»Das weiÃt du genau. Einfach so abzutauchen. Ich muss wissen, wo du bist.«
Er nahm sein Handy und steckte es in die Hosentasche.
»Ich brauchte Zeit für mich.«
»Sagt die Einsiedlerin auf ihrer Insel.«
»AuÃerdem wärst du dann der einzige Mensch auf der Welt, den ich ins Vertrauen ziehe.«
Er lachte und beugte sich zu ihr.
»Damit kann ich leben.«
»Ich mit dir auch.«
Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.
Rebekka stand auf und ging zur Badewanne, auf deren Rand noch das feuchte Handtuch lag, das Mark gerade benutzt hatte. Sie drückte ihr Gesicht hinein und atmete tief ein. In der Anfangszeit, damals, als sie sich gerade begegnet waren, lief sie tagelang wie auf Wolken durch die Stadt. Den Spruch begriff sie erst dann in seiner ganzen Tragweite. Verliebt sein hieÃ, immer den Blick des anderen auf sich zu fühlen, sich in jeder Fensterscheibe des eigenen Aussehens zu vergewissern. In alltäglichen Situationen die Gegenwart des anderen zu spüren. Im Gespräch mit Leuten gedanklich das Wort an den anderen zu richten. Ständig mit dem anderen Zwiesprache zu halten. Unkontrolliert zu lachen beim Tagträumen. Sich alltägliche Situationen mit dem anderen vorzustellen, in der Hoffnung, sie eines Tages zu erleben. Alles in allem ein Ausnahmezustand.
In ihrer Verliebtheit, die sich auch nach Jahren noch so intensiv anfühlte wie am Anfang, gab es keinen Moment, in dem sie sich gedankenlos gehen lieÃ, ein Umstand, der sowieso nicht Rebekkas Wesen entsprach. Selbst wenn sie allein vor ihrem Fernseher im Vico House saÃ, wandte sie Mark ihren Blick zu und kommentierte die eine oder andere Filmszene für ihn. Seine Hand lag dabei in ihrem SchoÃ, seine Antworten waren die griffigen Sprüche, die sie so an ihm liebte. Ein Mann mit Humor wurde in jeder zweiten Partnerschaftsanzeige gesucht oder angeboten, was das bedeutete wussten doch die Wenigsten.
Rebekka stellte das warme Wasser an, das in einem dicken Strahl in die Wanne floss, und hielt die angerissene Flasche mit Duschbad darunter. Sofort begann das Wasser zu schäumen. Langsam stieg sie hinein. Es war ihr nicht ganz wohl bei dem Gedanken, in nur zwei Stunden die Otto-Kinder zu treffen. Und Ingrid. Und Erik. Sie hatte die letzten Anrufe und E-Mails nicht mehr beantwortet. Trotzdem hatten sich sowohl Ulrike als auch Ingrid sofort auf die SMS vom Morgen gemeldet. Sie brauchte eine Ausrede.
Rebekka tauchte im Badewasser unter. Ihre Haare saugten sich voll, und sie fuhr sich mit beiden Händen durch ihre Locken. Etwa eine Minute hielt sie das durch. Dieses Abtauchen und Luftanhalten war das Gegenprogramm zu ihrer Platzangst, die sie schmerzte und verunsicherte wie eine Achillesferse.
Hier hat sich keine Mordserie erledigt, wie Mark behauptet. Die Serie war schon lange vorbei. Karl-Heinz Otto gehört nicht dazu. Sein Tod ist nur der Tropfen, der das Fass zum Ãberlaufen brachte.
Bei Recycling, Verschrottung und Co. hatten drei Ottos angeheuert. Einer von ihnen war jetzt tot. Der andere, Jörn, geistig verwirrt. Die Dritte im Bunde, Ulrike, auf eine erschreckende Art fragil und knallhart in einem.
Dieser Tag hatte die Farbe von Metall.
Rebekka stand vor dem Spiegel und kämmte das noch feuchte Haar straff nach hinten. Sie knotete den Zopf mit einem Band zusammen und schob ihre Burberry -Sonnenbrille wie einen Haarreifen auf den Kopf. Sie trug eine Carotincreme auf, zog ihre Lippen mit dunkelrotem Gloss nach und tupfte sich drei Tropfen Paul Smith -Herrenparfüm in den Ausschnitt ihres weiÃen Hemdes.
Zwei Schachteln Marlboro beulten die Tasche von Rebekkas Jeans aus. Obwohl sie seit Jahren nicht mehr rauchte, brachte sie gewohnheitsgemäà aus jedem Duty Free eine Stange Zigaretten mit.
Zur nächsten Call a Bike -Station waren es vom Vico House aus nur wenige Meter. Doch Rebekka lief in aller Ruhe die TorstraÃe hinunter bis zur FriedrichstraÃe, nutzte jeden Schritt, um sich wieder einzugewöhnen in dieses ihr so vertraute Viertel von Berlin.
Nach einer halben Stunde stand sie im Fahrradladen des Verkäufers mit dem üblen Ruf. Sie hatte schon mehrfach beobachtet, wie unzufriedene Kunden ihre Räder â geliehene und gekaufte â zurückbrachten und ihr Geld zurück
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