Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)
Eifersucht und Wut. Da hat jemand aus Little Cam Ami und Eio Dinge über die Außenwelt beigebracht, während ich keine Ahnung habe. Klar, ich kann sämtliche Teile eines Pantoffeltierchens herunterbeten, aber eine Siebenjährige weiß mehr über die Welt als ich. Wenn ›Wissenschaft der Fittich ist, womit wir in den Himmel uns erheben‹, bin ich ein Vogel mit gekappten Flügeln.
Ich bohre meine Finger in die weiche Erde am Ufer und drücke meinen ganzen Frust hinein, den Ami mir nicht ansehen soll.
Über uns schnattern und lachen ein paar Goldene Löwenäffchen und bewerfen uns mit Beeren. Ami kreischt zu ihnen hinauf und eines flitzt herunter und springt ihr auf die Schulter. Es spielt mit ihrem Haar und zischt mich an, als ich versuche es zu streicheln.
Plötzlich steht Eio hinter uns und schüttelt sich Wasser aus den Haaren. »Ami spricht mit den Affen, weil sie selbst ein halber Affe ist.«
»Bin ich nicht!« Sie streckt den Arm in seine Richtung und das Löwenäffchen läuft darauf entlang, springt dann auf Eios Kopf und zieht ihn an den Haaren. Er brüllt und versucht es herunterzuschubsen und Ami und ich lachen. Meine Wut fällt von mir ab.
Als Eio das Löwenäffchen endlich los ist, nimmt Ami es hoch und läuft ins Wasser. Dabei schreckt sie zwei Schopfhühner auf, die kreischend davonfliegen. Die Federhauben auf ihren Köpfen biegen sich nach hinten.
»Ihre Eltern sind gestorben, deshalb ist sie bei Achiri aufgewachsen«, erklärt Eio. »Sie ist wie meine kleine Schwester. Das heißt, ich bin ihr Beschützer.«
»Sie ist ein Engel. Ich täte alles, um eine kleine Schwester wie sie zu haben.«
Eio lässt sich neben mich fallen und streckt sich der Länge nach auf der dicken Schicht Blätter aus, die den Dschungelboden wie einen Teppich bedeckt. Er streckt die Arme über den Kopf und bietet mir uneingeschränkte Sicht auf seine Bauchmuskeln. Ich werde rot, schlucke und versuche nicht so auszusehen, als zeichnete ich im Geist jeden Zentimeter seiner gebräunten Haut nach.
»Wie kannst du an Engel glauben?«, fragt er. »Du bist doch Wissenschaftlerin.«
»Tu ich ja gar nicht.« Oder zumindest glaubt Onkel Paolo nicht daran. Ich überlege einen Moment. »Aber von den anderen glauben welche daran. Tante Nénine zum Beispiel. Sie gibt es nur nicht zu, weil Onkel Paolo sonst sauer wird.«
»Du kannst niemandem seine Götter nehmen. Du kannst es versuchen, aber dann verstecken sie sie und beten heimlich zu ihnen. Das sagt Kapukiri.«
»Ihr glaubt ihm so ziemlich alles, was er sagt.« Ich denke an die Reaktion der Dorfbewohner auf seine Worte, als ich das zweite Mal in Ai’oa war. Jaguar, Mantis, Mond.
»Er ist unser Medizinmann, unser Wundertäter. Wenn wir krank sind, heilt Kapukiri uns. Er sieht Ereignisse, bevor sie eintreten, und manchmal betritt er die Welt der Geister, ohne Yoppo zu nehmen.«
»Anadenanthera peregrina«, sage ich automatisch. »Ein Halluzinogen.«
Er nickt. »Du würdest es nicht mögen. Kein Karaíba mag es. Es lässt das Gehirn« – er legt beide Hände mit gespreizten Fingern an die Schläfen – »pufff! explodieren.«
»Du hast recht. Ich glaube, ich würde es tatsächlich nicht mögen.« Pfui Teufel.
Man muss mir meinen Ekel ansehen, denn er lacht. »Wir Ai’oaner machen manches völlig anders, aber in vielerlei Hinsicht sind wir genau wie ihr.«
»Wie meinst du das?«
Er zuckt mit den Schultern, nimmt einen Farnwedel, reißt ein kleines Blättchen nach dem anderen ab und rollt sie zu kleinen Perlen. »Wir essen, wir schlafen, wir atmen. Wir lächeln, wenn wir glücklich sind, und weinen, wenn wir traurig sind. Beim Schwimmen müssen wir zum Luftholen an die Oberfläche. Wenn wir den ganzen Tag arbeiten, bekommen wir Rückenschmerzen. Wenn wir uns schneiden, bluten wir.«
Ich blicke auf mein weißes Handgelenk. Nicht jeder von uns blutet.
»Die Starken kümmern sich um die Schwachen und wir bemühen uns, denen, die Macht über uns haben, zu gefallen.«
»Onkel Paolo ist der Meinung, die Schwachen sollten ausgemerzt werden«, sage ich leise. »Er sagt, der Rest der Welt stimme ihm da nicht zu. Deshalb kamen die Wissenschaftler überhaupt hierher. Sie mussten im Geheimen arbeiten, weil ihre Vorstellungen so fortschrittlich waren, dass die Allgemeinheit sie nicht akzeptiert hat. Sie wurden abgelehnt und angegriffen, da ihr Weg zur Stärkung der menschlichen Rasse knallharte Entscheidungen erfordert.« Man nannte sie Monster, erzählte Onkel Paolo mir. Und
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