Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)
lassen, ohne mich zu verabschieden.
Ich laufe zum Jeep, greife über die Seite hinein und lege meine Hand auf Onkel Smithys Arm.
»Onkel Smithy! Du verlässt uns schon?« Ich bin davon ausgegangen, dass er wenigstens noch ein paar Wochen bleibt.
Der alte Wissenschaftler lächelt und tätschelt meine Hand. Seine Haut ist so dünn wie ein Schmetterlingsflügel, und ihn ohne Pinsel in der Hand zu sehen, mutet fremd an. Dass diese zerbrechlich wirkenden Hände in der Zeit, in der er hier war, so viele wunderbare Bilder gemalt haben, erscheint wie ein Wunder.
»Jetzt heißt es Abschied nehmen, Pia.«
»Wohin gehst du?«
»Nach Hause. Mach dir um mich keine Sorgen. Corpus kümmert sich ausgezeichnet um seine Pensionäre. Ich habe vor, den Rest meiner Tage in einem Lehnstuhl vor mich hin zu dösen. Schau nicht so entsetzt, Liebes. Es ist genau das, was ich mir wünsche.«
Es ist lange her, seit ich mich das letzte Mal von jemandem verabschieden musste. Die Letzte war Tante Claire, die Ärztin und Vorgängerin von Tante Brigid. »Du wirst mir fehlen. Unsere Zeichenstunden werden mir fehlen.«
Onkel Smithy betrachtet mein Gesicht und schüttelt langsam den Kopf. »Dreiundvierzig Jahre habe ich diesem Ort geopfert. Dreiundvierzig Jahre in diesem gottverdammten Dschungel, aber ich bereue keinen Augenblick.«
»Warum nicht?«
»Weil…« Er nimmt meine Hand und sein Händedruck ist für einen so alten Mann erstaunlich kräftig. »... ich mit der Ewigkeit in Berührung kommen durfte. Du bist unsere Hoffnung, Pia. Enttäusche uns nicht.«
Ich habe einen Kloß im Hals und kann deshalb nur nicken. Auch wenn ich ungern so etwas denke, habe ich das Gefühl, als stammten diese Worte nicht von Onkel Smithy, sondern von jemand anders. Nach dem Test heute Morgen passen seine Worte einfach zu perfekt. Aber ich mache ihm keinen Vorwurf. Onkel Smithy war immer nett zu mir und ich werde ihn vermissen.
Die Jeeps sind abfahrbereit. Strauss brüllt den Fahrern zu, dass sie Gas geben sollen, und die Tore schwingen quietschend auf. Seit Laszlo den Anruf erhielt, ist weniger als eine Stunde vergangen.
Die Fahrzeuge donnern mit halsbrecherischer Geschwindigkeit in den Dschungel. Alle, die um das Tor herumstehen, sehen ein wenig benommen aus, als wir den Jeeps nachblicken. Das Dröhnen der Motoren verliert sich schnell. Bereits eine Minute später sind wieder nur noch Vogelgezwitscher und Affengezeter zu hören und Little Cam bleibt nach dem Blitzbesuch aufgewühlt zurück. Gestern Morgen sind sie aus dem Nichts aufgetaucht und jetzt sind sie weg, als seien sie nie hier gewesen.
Jedenfalls fast. Einen kleinen Beweis für ihren Besuch haben sie hinterlassen. Er liegt in meiner Sockenschublade.
Wenn ich an den Test denke, läuft es mir kalt den Rücken hinunter. Eigentlich sollte ich froh sein, dass Strauss und Laszlo weg sind, doch ich empfinde eine abgrundtiefe Traurigkeit. Wie lange kann ich ihn hinauszögern? Oder sollte ich mir ein Herz fassen und die Sache hinter mich bringen?
Ich versuche den Test von einem rationalen, wissenschaftlichen Standpunkt aus zu sehen. Es ist alles für ein übergeordnetes Wohl. Wer weiß? Vielleicht findet Onkel Sergei beim Untersuchen von Sneezes Zellen einen Impfstoff gegen FIV.
Aber es nützt nichts. Mir wird immer noch schlecht, wenn ich an die Spritze denke, an den Test, an alles, was damit zusammenhängt. Vielleicht hatte Onkel Paolo recht. Vielleicht bin ich noch nicht bereit. Zumindest kann ich keinen Zusammenhang erkennen zwischen dem Töten von Sneeze und meiner Aufnahme ins Immortis-Team. Die Spritze erscheint mir vollkommen unnötig. Wenn ich Onkel Sergei helfen würde, einen Impfstoff zu finden, ergäbe der Test vielleicht einen Sinn. Aber meine zukünftige Arbeit hat absolut nichts mit Ozelots und FIV und Pentobarbital zu tun.
Doch wenn ich den Test nicht schaffe, feuert Strauss Onkel Paolo und womöglich auch noch den Rest des Immortis-Teams. Mich von Onkel Smithy verabschieden zu müssen, war schlimm genug. Ich könnte es nicht ertragen, die anderen auch noch zu verlieren. »Du bist unsere Hoffnung«, hat Onkel Smithy gesagt. Vielleicht haben Onkel Paolo oder Strauss ihn angewiesen, es zu sagen, aber das macht es nicht weniger wahr.
Ich bin so durcheinander, dass ich am liebsten laut schreien würde. Wären diese Corpus-Leute doch nie gekommen! Hätte Onkel Smithy uns doch nicht verlassen! Läge doch nur keine Spritze mit Gift in meiner Sockenschublade! Wäre… hätte… wäre ich
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