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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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über die Zähne. »Sieht ganz so aus.« Allmählich wurde sie wieder klar im Kopf und streckte den Arm aus, um die Gaslampe hochzudrehen. »Wo hast du gesteckt?«
    »Ich hab den Abwasch gemacht und das Zaumzeug geputzt.« Katie zog die Rollos herunter, dann setzte sie sich und begann, ihren Haarknoten zu lösen.
    Ellie sah zu, wie Katie ihr langes, honigfarbenes Haar bürstete, die Augen klar und groß. Als Ellie auf die Farm gekommen war, hatte sie diesen Blick auf allen Gesichtern um sie herum irrtümlich für ein Zeichen von Leere oder Dummheit gehalten. Inzwischen wußte sie, daß dieser Blick der Amischen nicht inhaltlos, sondern erfüllt war – erfüllt von friedlicher Ruhe. Selbst jetzt, nach einem schwierigen Prozeßbeginn, war Katie ganz gelöst.
    »Ich weiß, daß sie sich dafür interessieren«, hörte Ellie sich selbst sagen.
    Katie wandte den Kopf. »Für den Prozeß, meinst du.«
    »Ja. In meiner Familie ging es immer laut zu. Wenn es Streit gab, flogen die Fetzen, aber wir haben uns immer schnell wieder vertragen. Diese Stille – das ist mir ein wenig fremd.«
    »Deine Eltern haben dich oft angeschrien, was?«
    »Manchmal«, gab Ellie zu. »Aber das hat mir zumindest gezeigt, daß sie da waren.« Sie schüttelte den Kopf, löste sich von der Erinnerung. »Jedenfalls entschuldige ich mich dafür, daß ich beim Abendessen so in die Luft gegangen bin.« Sie seufzte. »Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist.«
    Katies Bürste hielt jäh inne. »Wirklich nicht?«
    »Nein. Ich meine, ich bin etwas angespannt wegen des Prozesses, aber an deiner Stelle sähe ich mich auch lieber nervös als seelenruhig.« Sie sah Katie an und bemerkte erst jetzt, daß die Wangen des Mädchens glühten.
    »Was verschweigst du mir?« fragte Ellie mit einem flauen Gefühl in der Magengegend.
    »Nichts! Ich verschweige dir nichts!«
    Ellie schloß die Augen. »Ich bin für so was einfach zu müde. Könntest du mit deiner Beichte bis morgen warten?«
    »Okay«, sagte Katie, eine Spur zu schnell.
    »Zum Teufel mit morgen. Heraus damit.«
    »Du schläfst in letzter Zeit immer früh ein, wie heute abend. Und beim Abendessen hast du die Beherrschung verloren.« Katies Augen blitzten, als ihr noch etwas anderes einfiel. »Und weißt du noch, heute morgen auf der Toilette im Gericht?«
    »Du hast recht. Mir steckt irgendwas in den Knochen.«
    Katie legte die Bürste beiseite und lächelte schüchtern. »Du bist nicht krank, Ellie. Du bist schwanger.«

14
Ellie
D as ist eindeutig falsch«, sagte ich mit Blick auf den Schwangerschaftsteststreifen zu Katie.
    Sie studierte die Rückseite der Verpackung und schüttelte den Kopf. »Du hast fünf Minuten gewartet. Du hast die Anzeige im Testfenster gesehen.« Ich warf den Streifen mit seinem kleinen rosa Plus-Zeichen aufs Bett. »Ich hätte dreißig Sekunden lang ununterbrochen pinkeln müssen, und ich hab bloß fünfzehn geschafft. Na bitte. Menschliches Versagen.«
    Wir guckten beide auf die Verpackung, die noch einen Streifen enthielt. Für den endgültigen Beweis war nur ein weiterer Abstecher auf die Toilette erforderlich, fünf weitere endlose schicksalsschwere Minuten. Aber sowohl Katie als auch ich wußten, wie das Ergebnis ausfallen würde.
    So etwas passierte einer fast vierzigjährigen Frau nicht. Solche Unfälle passierten Teenagern, wenn sie sich auf dem Rücksitz des elterlichen Autos von der Leidenschaft mitreißen ließen. Solche Unfälle passierten Frauen, die ihren Körper noch als frisch und spannend empfanden, nicht als einen alten, vertrauten Freund. Solche Unfälle passierten den Frauen, die es nicht besser wußten.
    Aber das hier fühlte sich nicht an wie ein Unfall. Es fühlte sich fest und warm an, ein kleines Goldklümpchen unter meiner flachen Hand, als könnte ich schon die Schallwellen des winzigen Herzens spüren.
    Katie hatte die Augen niedergeschlagen. »Herzlichen Glückwunsch«, flüsterte sie.
    In den vergangenen fünf Jahren hatte ich mir so sehr ein Baby gewünscht, daß es fast weh tat. Manchmal wachte ich neben Stephen auf, und meine Arme waren so verkrampft, als hätte ich die ganze Nacht ein Neugeborenes gehalten. Wenn ich das Einsetzen meiner monatlichen Regel im Kalender notierte, tat ich das mit dem Gefühl, daß das Leben an mir vorbeiging. Ich wollte etwas in mir wachsen spüren. Ich wollte für jemand anderen atmen, essen, erblühen.
    Etwa zweimal im Jahr hatten Stephen und ich Streit wegen meines Kinderwunsches, als wäre Fortpflanzung ein

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