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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Vulkan, der dann und wann auf der Insel ausbrach, die wir uns selbst geschaffen hatten. Einmal hatte ich ihn wirklich soweit. »Also schön«, sagte er. »Wenn es passiert, passiert es eben.« Sechs Monate lang nahm ich die Pille nicht, aber es gelang uns nicht, ein Kind zu zeugen. Ich brauchte fast dieses ganze halbe Jahr, bis ich begriff, woran es lag: An einem Ort, der allmählich stirbt, kann kein Leben entstehen.
    Danach behelligte ich Stephen nicht mehr mit meinem Wunsch. Statt dessen ging ich, wenn mich mütterliche Gefühle überwältigten, in die Bibliothek und forschte. Ich lernte, wie viele Male sich die Zellen einer Zygote teilen mußten, bis sie als Embryo eingestuft wurde. Auf Mikrofiche sah ich die Bilder eines Fetus, der am Daumen lutschte. Ich lernte, daß ein sechs Wochen alter Fetus so groß wie eine Erdbeere ist. Ich machte mich kundig über Alphafetoprotein und Amniozentese und Rhesusfaktoren. Ich wurde zur Sachverständigen ohne praktische Erfahrung. Ich wußte also alles über dieses Baby in mir – nur nicht, warum ich keine überschäumende Freude über seine Existenz empfand.
    Ich wollte nicht, daß irgend jemand auf der Farm von meiner Schwangerschaft erfuhr – zumindest nicht, bevor ich nicht Coop die Neuigkeit mitgeteilt hatte. Am nächsten Morgen schlief ich lange. Ich schaffte es gerade noch bis zu einem einsamen Plätzchen im Gemüsegarten, bevor ich anfing zu würgen. Als mir vom Geruch des Pferdefutters schwindelig wurde, übernahm Katie wortlos meine Arbeit. Allmählich sah ich sie in einem neuen Licht und fragte mich staunend, wie sie ihren Zustand so lange vor so vielen Menschen hatte verbergen können.
    Ich saß vor dem Stall, als sie herauskam. »Na«, sagte sie fröhlich, »geht’s dir besser?« Sie setzte sich neben mich, lehnte den Rücken an die rote Holzwand.
    »Jaja«, log ich. »Ich glaub, ich hab’s überstanden.«
    »Zumindest bis morgen früh.« Katie griff in den Bund ihrer Schürze und zog zwei Teebeutel heraus. »Ich glaube, die wirst du brauchen.« Ich roch daran. »Für den Magen?«
    Katie wurde rot. »Du tust die hierhin«, sagte sie und strich mit den Fingerspitzen über ihre Brüste. »Wenn sie zu sehr weh tun.« Da sie meine Naivität richtig einschätzte, fügte sie hinzu: »Zuerst weichst du sie natürlich ein.«
    »Gott sei Dank kenne ich jemanden, der das schon mal durchgemacht hat.« Katie fuhr zurück, als hätte ich ihr einen Schlag versetzt, und erst jetzt wurde mir klar, was ich gesagt hatte. »Es tut mir leid.«
    »Ist schon gut«, murmelte sie.
    »Nein, es ist nicht gut. Ich weiß, daß das schwer für dich sein muß, vor allem jetzt, wo der Prozeß in vollem Gang ist. Ich könnte jetzt sagen, daß du eines Tages auch ein Kind bekommen wirst, aber ich weiß noch zu gut, wie ich mich immer gefühlt habe, wenn eine von meinen schwangeren, verheirateten Freundinnen so etwas zu mir gesagt hat.«
    »Wie hast du dich denn gefühlt?«
    »Am liebsten hätte ich sie geohrfeigt.«
    Katie lächelte zaghaft. »Ja, ungefähr so.« Sie warf einen kurzen Blick auf meinen Bauch, dann sah sie weg. »Es freut mich für dich, Ellie, wirklich. Aber deswegen tut es nicht weniger weh. Und ich sage mir immer wieder, daß meine Mam drei Babys verloren hat, vier, wenn man Hannah mitrechnet.« Sie zuckte die Achseln. »Man kann sich über das Glück eines anderen Menschen freuen, aber deswegen vergißt man doch nicht sein eigenes Unglück.«
    Mir war nicht klar gewesen, daß Katie ihr Kind wirklich gewollt hatte. Auch wenn sie den Gedanken an die Geburt verdrängt hatte, auch wenn sie gezögert hatte, sich zu ihrer Schwangerschaft zu bekennen – in dem Augenblick, als ihr Kind zur Welt kam, stand für sie außer Frage, daß sie es liebte. Verwundert starrte ich sie an und hatte das Gefühl, daß die Verteidigung, die ich mir für den Prozeß zurechtgelegt hatte, nahtlos in die Wahrheit überging.
    Ich drückte ihre Hand. »Ich finde es schön«, sagte ich, »daß ich dieses Geheimnis mit jemandem teilen kann.«
    »Bald kannst du es auch Coop erzählen.«
    »Wahrscheinlich.« Ich wußte nicht, wann oder ob er an diesem Wochenende kommen würde. Als er uns Freitag abend auf der Farm absetzte, hatten wir keine konkreten Pläne gemacht. Er war noch immer ein wenig verstimmt, weil ich nicht mit ihm zusammenziehen wollte, und hielt sich zurück.
    Katie zog ihr Schultertuch enger um sich. »Meinst du, er wird sich freuen?«
    »Ich weiß es.«
    Sie sah zu mir hoch. »Dann werdet

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