Die einzige Wahrheit
Verteidigung begann, träumte ich, daß ich Coop als Zeugen aufrief. Ich stand vor ihm in einem leeren Gerichtssaal. Hinter mir erstreckte sich der Zuschauerraum wie eine dunkle Wüste. Ich öffnete den Mund, um ihn nach Katie zu befragen, doch statt dessen flog mir eine andere Frage aus dem Mund wie ein Vogel, der darin gefangen gewesen war: Werden wir in zehn Jahren noch glücklich sein? Verärgert preßte ich die Lippen zusammen und wartete auf seine Antwort, aber Coop hielt den Blick gesenkt. »Ich brauche eine Antwort, Dr. Cooper«, drängte ich, und als ich näher an den Zeugenstand herantrat, sah ich Katies totes Baby in seinem Schoß liegen.
Bei dem Gedanken, Coop in den Zeugenstand zu rufen, war mir äußerst unwohl zumute. Es war seltsam, ihn in dieser kleinen Box vor mir zu haben und zu wissen, daß die Fragen, die ich stellen würde, nicht die Fragen waren, auf die ich wirklich eine Antwort haben wollte. Außerdem war jetzt etwas Neues zwischen uns, all das, was noch nicht gesagt worden war, seit wir von meiner Schwangerschaft wußten. Es umgab uns wie ein wogendes Meer, so daß ich, wenn ich Coop zuhörte, nie wußte, ob ich meiner Wahrnehmung trauen konnte.
Wenige Minuten, bevor er in den Zeugenstand mußte, kam er zu mir. Die Hände in den Taschen, erschreckend professionell, reckte er das Kinn in die Höhe. »Ich möchte, daß Katie den Gerichtssaal verläßt, während ich aussage.«
Katie saß noch nicht neben mir; ich hatte Samuel losgeschickt, sie zu holen. »Wieso?«
»Weil ich in erster Linie für Katie als Patientin verantwortlich bin, und nachdem du sie mit Adam so aus der Bahn geworfen hast, halte ich sie für zu labil, um das zu verkraften, was ich sagen werde.«
Ich ordnete die Unterlagen vor mir auf dem Tisch. »Schade, weil ich nämlich möchte, daß die Geschworenen ihre Erschütterung sehen.«
Seine Entrüstung war förmlich greifbar. Um so besser. Vielleicht merkte er jetzt, daß ich nicht die Frau war, für die er mich hielt. Ich musterte ihn kühl und fügte hinzu: »Es geht nur einzig und allein darum, Mitgefühl für sie zu wecken.«
Ich rechnete damit, daß er mir widersprechen würde, aber Coop stand nur da und sah mich an, bis ich von seinem Blick nervös wurde. »So hart bist du gar nicht, Ellie«, sagte er schließlich. »Hör ruhig auf, so zu tun.«
»Es geht hier nicht um mich.«
»Doch, natürlich.«
»Was soll das?« rief ich gereizt. »Das kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen.«
»Genau das brauchst du, El.« Coop griff nach dem Kragen meines Blazers und zog ihn gerade, strich ihn sanft glatt, eine Geste, bei der ich fast geweint hätte.
Ich holte tief Luft. »Katie bleibt hier. Und jetzt entschuldige mich, ich brauche noch ein paar Minuten für mich.«
»Diese paar Minuten«, sagte er leise. »Die summieren sich langsam.«
»Herrgott, ich stecke mitten in einem Prozeß! Was erwartest du denn?«
Coop ließ seine Hand von meiner Schulter gleiten, über meinen Arm. »Daß du dich eines Tages umschaust«, sagte er, »und dann wirst du feststellen, daß du seit Jahren allein bist.«
»Warum wurden Sie gebeten, mit Katie zu sprechen?«
Coop machte im Zeugenstand eine umwerfende Figur. Nicht, daß ich mir meine Zeugen gemeinhin danach aussuche, wie gut ihnen ein Anzug steht, aber er war entspannt und ruhig und lächelte öfter zu Katie hinüber, was den Geschworenen nicht entgehen konnte. »Um sie zu behandeln«, sagte er. »Nicht, um sie zu evaluieren.«
»Was ist der Unterschied?«
»Ich bin kein forensischer Psychiater, sondern ein ganz normaler Therapeut. Ich wurde lediglich gebeten, ihr zu helfen.«
»Wenn Sie kein forensischer Psychiater sind, warum sind Sie dann heute hier?«
»Weil ich im Laufe der Behandlung eine Beziehung zu Katie entwickelt habe. Im Gegensatz zu einem Sachverständigen, der nur einmal mit ihr gesprochen hat, glaube ich, besser zu wissen, wie ihre Psyche funktioniert. Sie hat schriftlich ihre Einwilligung erteilt, daß ich aussage, was ich für einen großen Vertrauensbeweis halte.«
»Wie haben Sie Katie behandelt?« fragte ich.
»Ich habe über einen Zeitraum von vier Monaten hinweg klinische Interviews mit ihr geführt. Zu Beginn habe ich Fragen nach ihren Eltern gestellt, nach ihrer Kindheit, habe gefragt, ob sie Kinder möchte, eruiert, ob sie jemals Depressionen hatte, oder ob ein psychologisches Trauma bei ihr vorliegt – die üblichen therapeutischen Gespräche, wenn Sie so wollen.«
»Was haben Sie
Weitere Kostenlose Bücher