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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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und ihr Leben weitergeführt. Aber dazu kam es nicht. Ich denke, sie ist erwacht, hat das tote Baby gesehen und Panik bekommen – sie würde wegen der Geburt unter Bann gestellt werden, hätte aber nicht das Kind, das sie über die Strafe hätte hinwegtrösten können. Also schaltete ihre Psyche reflexartig auf eine kurzfristige Notlösung um, und Katie versuchte, die Beweise dafür zu beseitigen, daß es überhaupt eine Geburt und ein totes Kind gegeben hatte.«
    »Wußte sie, was sie tat, als sie den Leichnam versteckte?«
    »Ich vermute, daß Katie sich noch immer in einem dissoziativen Zustand befand, als sie das tote Baby versteckte, da sie sich bis heute nicht daran erinnern kann, es getan zu haben. Sie kann die Erinnerung nicht zulassen, weil sie nur so mit ihrer Trauer und ihrer Scham leben kann.«
    An diesem Punkt hatten Coop und ich eigentlich die Zeugenvernehmung abbrechen wollen. Doch einer plötzlichen Eingebung folgend, verschränkte ich die Arme und fragte: »Hat Katie Ihnen je erzählt, was mit dem Baby geschehen ist?«
    »Nein«, sagte Coop argwöhnisch.
    »Dann haben Sie sich dieses ganze Szenario – den Tod des Babys, und daß Katie wie eine Schlafwandlerin den Leichnam versteckt hat – also selbst zusammengereimt.«
    Coop blickte mich verwirrt an. »Nicht ganz. Meine Schlußfolgerungen basieren auf meinen Gesprächen mit Katie.«
    »Ja, ja«, sagte ich abwehrend. »Aber da sie Ihnen nicht ausdrücklich erzählt hat, was in besagter Nacht geschehen ist, wäre es da nicht möglich, daß Katie ihr Kind kaltblütig ermordet und es danach in der Sattelkammer versteckt hat?«
    Meine Fragestellung war suggestiv, aber ich wußte, daß George auf gar keinen Fall Einspruch erhoben hätte. Coop war verunsichert und suchte nach Worten. » Möglich ist ein Begriff, der sehr viel umfaßt«, sagte er langsam. »Wenn Sie meinen, daß die Wahrscheinlichkeit einer gewissen –«
    »Beantworten Sie einfach die Frage, Dr. Cooper.«
    »Ja, es ist möglich. Aber nicht wahrscheinlich.«
    »Ist es möglich, daß Katie niedergekommen ist, ihren kleinen Jungen in den Armen gehalten hat, ihn eingewickelt hat und geweint hat, als sie feststellte, daß er in ihren Armen gestorben war?«
    »Ja«, sagte Cooper. »Also, das ist wahrscheinlich.«
    »Ist es möglich, daß Katie mit ihrem lebenden Baby im Arm eingeschlafen ist und daß ein Fremder in den Stall kam und den Kleinen erstickt und versteckt hat, während sie nicht bei Bewußtsein war?«
    »Sicher, das ist möglich. Unwahrscheinlich, aber möglich.«
    »Können Sie mit Sicherheit sagen, daß Katie ihr Baby nicht getötet hat?«
    Er zögerte. »Nein.«
    »Können Sie mit Sicherheit sagen, daß Katie ihr Baby getötet hat?«
    »Nein.«
    »Könnte man mit Fug und Recht behaupten, daß Sie nicht sicher sind, was in jener Nacht geschehen ist?«
    »Ja. Wie wir alle, oder?«
    Ich lächelte ihn an. »Keine weiteren Fragen.«
    »Berichtigen Sie mich, wenn ich falschliege, Dr. Cooper, aber die Angeklagte hat nie ausdrücklich gesagt, daß ihr Baby eines natürlichen Todes gestorben ist, richtig?«
    Coop hielt dem Blick des Staatsanwalts stand, Gott segne ihn. »Nein, aber sie hat auch nicht gesagt, daß sie es ermordet hat.«
    George sann über den Einwand nach. »Und trotzdem sind Sie offenbar der Ansicht, daß es äußerst unwahrscheinlich ist.«
    »Wenn Sie Katie kennen würden, wären Sie das auch.«
    »Laut Ihrer eigenen Aussage ist es für Katie von vorrangiger Bedeutung, von ihrer Gemeinde akzeptiert zu werden.«
    »Ja.«
    »Ein Mörder würde aus der amischen Gemeinde ausgeschlossen – vielleicht für immer?«
    »Davon gehe ich aus.«
    »Nun, wenn die Angeklagte ihr Baby getötet hätte, wäre es dann nicht naheliegend, daß sie den Beweis für den Mord versteckt, um nicht für alle Zeiten verstoßen zu werden?«
    »Herrje, so was habe ich in der siebten Klasse gemacht. Wenn x dann y. Wenn nicht x dann nicht y.«
    »Dr. Cooper«, drängte George.
    »Nun, ich will damit sagen, daß Katie ihr Baby nicht ermordet haben kann, weil Mord ein bewußter Akt ist, mit bewußten reaktiven Handlungen – sie befand sich zu dem Zeitpunkt jedoch in einem dissoziativen Zustand.«
    »Laut Ihrer Theorie hat sie dissoziiert, als sie niederkam – und sie hat dissoziiert, als sie den Leichnam versteckte –, aber sie war in ausreichendem Maße bei Bewußtsein und geistig präsent, um zu begreifen, daß das Baby in den wenigen Minuten dazwischen eines natürlichen Todes gestorben

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