Die einzige Wahrheit
nickte.
Aber irgend etwas flackerte in seinen Augen auf, ein winziger Hauch von Zweifel, so kurz, daß Katie es vielleicht gleich wieder vergessen hätte, wenn Adam sich nicht rasch abgewandt hätte. Er hatte gesagt, daß er sie liebte. Er hatte es den Geschworenen gesagt. Im Gerichtssaal hätte er es vielleicht nicht zugegeben, aber hier, allein mit ihr, fragte er sich, so schwer es ihm auch fiel, ob Katie sich deshalb nicht erinnern konnte, was mit ihrem Baby geschehen war, weil sie etwas Unsagbares getan hatte.
Er küßte sie zärtlich, und sie wunderte sich, daß es möglich war, einem anderen so nahe zu sein und dennoch das Gefühl zu haben, zwischen ihnen hätte sich eine klaffende Schlucht aufgetan. »Wir werden andere Kinder haben«, sagte er, der einzige Trost, den Katie nicht ertragen konnte.
Sie berührte seine Wangen und sein Kinn und die weichen Umrisse seiner Ohren. »Es tut mir leid«, sagte sie, ohne genau zu wissen, wofür sie sich entschuldigte.
»Es war nicht deine Schuld«, murmelte Adam.
»Adam –«
Er legte einen Finger auf ihre Lippen und schüttelte den Kopf. »Sag es nicht. Noch nicht.«
Ihre Brust verkrampfte sich, daß sie kaum mehr atmen konnte. »Ich wollte dir sagen, daß er dir ähnlich gesehen hat«, sagte sie, und die Worte sprudelten hervor wie ein Geschenk. »Ich wollte dir sagen, daß er wunderschön war.«
Auf der Herrentoilette trat Adam aus der Kabine und fing an, sich die Hände zu waschen. Seine Gedanken kreisten noch immer um Katie, den Prozeß, ihr gemeinsames Baby. Er registrierte nur am Rande, daß ein Mann an das Waschbecken neben ihm trat.
Ihre Blicke kreuzten sich im Spiegel. Adam betrachtete den breitkrempigen, schwarzen Hut des Mannes, die schlichte Hose, die Hosenträger, das blaßgrüne Hemd. Adam hatte ihn noch nie gesehen, aber er wußte, wer er war. Er wußte es genauso, wie der blonde Riese, der den Blick nicht von Adam losreißen konnte, wußte, wer er war.
Mit ihm war sie also vor mir zusammen, dachte Adam.
Er war nicht im Gerichtssaal gewesen; Adam hätte sich an ihn erinnert. Vielleicht nahm er aus religiösen Gründen nicht an der Verhandlung teil. Vielleicht war er als Zeuge geladen und würde erst später aufgerufen werden.
»Entschuldigung«, sagte der Blonde und griff an Adam vorbei zum Seifenspender.
Adam trocknete sich die Hände an einem Papierhandtuch ab. Er nickte dem anderen Mann einmal zu, selbstsicher, ruhig, und warf das zerknüllte Papier in den Abfalleimer.
Als Adam die Toilettentür aufstieß und auf den von Menschen wimmelnden Korridor trat, schaute er sich ein letztes Mal um. Der amische Mann nahm sich jetzt ebenfalls ein Papierhandtuch und stand an derselben Stelle, an der Adam gerade noch gewesen war.
Samuels Finger schlossen sich nervös um den Türknauf, als er den kleinen Besprechungsraum betrat, wo er laut Ellies Angaben Katie finden würde. Ja, da war sie, den Kopf über den häßlichen Plastiktisch gebeugt, wie eine Löwenzahnblüte, die auf ihrem Stengel verwelkt. Er setzte sich ihr gegenüber und stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Alles in Ordnung?«
»Ja«, seufzte Katie und rieb sich die Augen. »Mir geht’s gut.«
»Dann bist du die einzige.«
Katie lächelte schwach. »Mußt du bald in den Zeugenstand?«
»Ellie meint, ja.« Er zögerte. »Ellie sagt, sie weiß, was sie tut.« Samuel stand auf, fühlte sich zu groß in dem engen Raum. »Ellie sagt, ich soll dich mitbringen.«
»Oh, und wir wollen unsere Ellie doch nicht enttäuschen«, sagte Katie sarkastisch.
Samuels Brauen zogen sich zusammen. »Katie«, sagte er, mehr nicht, und auf einmal kam sie sich klein und schäbig vor.
»Tut mir leid, daß ich das gesagt habe«, gestand sie. »Zur Zeit kenne ich mich selbst nicht mehr.«
»Aber ich kenne dich«, sagte Samuel, so ernst, daß sie lächeln mußte.
»Gott sei Dank.« Katie war nicht gern in diesem Gerichtsgebäude, so weit weg von der Farm ihrer Eltern, aber das Wissen, daß Samuel sich genauso fehl am Platze fühlte wie sie, machte es ihr ein wenig leichter.
Er streckte ihr die Hand hin und lächelte. »Komm jetzt, laß uns gehen.«
Katie schob ihre Finger in seine. Samuel zog sie vom Stuhl hoch und führte sie aus dem Besprechungsraum. Sie gingen Hand in Hand den Korridor hinunter, durch die Doppeltür des Gerichtssaals, auf den Tisch der Verteidigung zu; und keiner von beiden dachte auch nur einen Moment daran loszulassen.
16
Ellie
I n der Nacht, bevor die Vernehmung der Zeugen der
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