Die einzige Wahrheit
waren.
»Während Sie hier sind«, sagte Sarah und reichte mir eine Schüssel mit Erbsen, »können Sie mithelfen.«
Ich blickte vom Küchentisch auf und verkniff mir die Bemerkung, daß ich ihnen schon durch meine reine Anwesenheit half. Dank meines aufopferungsvollen Einsatzes saß Katie hier vor ihrer eigenen Schüssel Erbsen, die sie mit bemerkenswertem Eifer enthülste. Ich schaute ihr einen Moment lang zu, dann schob ich den Daumennagel in die Hülsennaht und sah sie aufplatzen wie eine Nuß, genau wie bei Katie.
»Nee … Englische Leit … Loss mich geh!«
Aarons Stimme, leise aber bestimmt, drang durch das offene Küchenfenster. Sarah wischte sich die Hände an der Schürze ab und blickte hinaus. Sie schnappte kurz nach Luft und hastete zur Tür.
Dann hörte ich fremde Stimmen.
Sofort wandte ich mich an Katie. »Du bleibst hier«, befahl ich und ging nach draußen. Aaron und Sarah hatten die Hände vors Gesicht gelegt und wichen vor einer Gruppe von Kameraleuten und Reportern zurück. Der Übertragungswagen eines Nachrichtensenders war dreist direkt neben der Kutsche der Fishers geparkt worden. Und ein Bombardement von Fragen prasselte auf Katies Eltern ein.
Ich hatte völlig vergessen, wie schnell die Medien davon Wind bekommen würden, daß eine junge amische Frau des Mordes beschuldigt wurde.
Plötzlich mußte ich an den Sommer denken, in dem ich einmal meine Kamera auf einen ahnungslosen Amisch-Mann in seiner Kutsche richtete. Leda hatte die Hand vors Objektiv gehalten und mir erklärt, daß die Bibel nach dem Glauben der Amischen Götzenbilder verbot und daß sie sich nicht gerne fotografieren ließen. »Ich könnt’s doch trotzdem tun«, hatte ich verärgert erwidert, und zu meiner Überraschung hatte Leda genickt – so traurig, daß ich meine Kamera wieder sinken ließ.
Aaron hatte es aufgegeben, die Reporter zu bitten, wieder zu gehen. Es war nicht seine Art, viel Aufhebens zu machen, und er hatte klugerweise angenommen, wenn er sich als Zielscheibe anbot, würde das ihre neugierigen Blicke von Katie ablenken. Ich räusperte mich und stellte mich vor die Meute. »Entschuldigen Sie, aber Sie befinden sich hier auf Privatbesitz.«
Einer der Reporter ließ den Blick über mein luftiges Outfit gleiten, das einen krassen Gegensatz zu Aarons und Sarahs Kleidung bildete. »Wer sind Sie denn?«
»Die Pressesprecherin der Fishers«, entgegnete ich trocken. »Was Sie hier machen, ist Hausfriedensbruch, ein Vergehen, das mit bis zu einem Jahr Gefängnis oder einer Geldstrafe in Höhe von fünfundzwanzigtausend Dollar geahndet wird.«
Eine Frau in einem maßgeschneiderten rosa Kostüm überlegte, wo sie mich schon mal gesehen hatte. »Sie sind die Anwältin! Die aus Philadelphia!«
»Im Augenblick wird weder von meiner Mandantin noch von den Eltern meiner Mandantin irgendein Kommentar abgegeben«, sagte ich. »Und was den reißerischen Charakter der Anklage angeht, nun« – ich grinste und deutete auf den Stall, das Farmhaus und das friedliche Land –, »da möchte ich nur sagen, daß eine amische Farm kein Crackhaus in Philadelphia ist und eine junge amische Frau keine Schwerstkriminelle. Ich fürchte, alles weitere müssen Sie sich wohl zu einem späteren Zeitpunkt auf den Stufen des Gerichtsgebäudes anhören.« Ich ließ langsam den Blick über die Menge wandern. »Und jetzt noch ein kleiner kostenloser juristischer Rat. Ich empfehle Ihnen allen dringend, schleunigst zu gehen.«
Widerwillig schlurften sie davon. Ich ging bis zum Ende der Einfahrt und paßte auf, bis auch der letzte Wagen davonrollte. Als ich zurückkam, standen Aaron und Sarah Seite an Seite da und warteten auf mich.
Aaron blickte zu Boden und sagte mit rauher Stimme: »Vielleicht möchten Sie ja irgendwann mal beim Melken zusehen.«
Das war der deutlichste Ausdruck von Dankbarkeit, den er sich abringen konnte. »Ja«, sagte ich. »Gern.«
Sarah bereitete soviel zu essen zu, daß die gesamte amische Gemeinde davon satt geworden wäre, erst recht also ihre eigene kleine Familie plus ein Gast. Sie trug Schüssel um Schüssel auf, Hähnchen mit Knödeln und Gemüse, das in Sauce schwamm, und geschmortes Fleisch. Es gab Eingelegtes und verschiedene Brotsorten und würzige, gedünstete Birnen. In der Mitte des Tisches stand ein blauer Krug mit frischer Milch. Ich fragte mich, wie diese Menschen so essen konnten, ohne dick zu werden.
Außer den drei Fishers, die ich schon kennengelernt hatte, saß noch ein älterer Mann am
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