Die einzige Wahrheit
würden denken, ich wäre verrückt, wenn ich Geister sehe. Aber sie ist hier, Ellie. Wirklich, ich schwöre es.«
»So, wie du schwörst, daß du kein Kind bekommen hast?« murmelte ich.
Katie wandte sich von mir ab. »Ich hab gewußt, daß du es nicht verstehen würdest. Der einzige Mensch, der das je verstanden hat –«
»War wer?«
»Niemand«, sagte sie verstockt.
Ich breitete die Arme aus. »Na dann, ruf sie doch. He, Hannah!« rief ich. »Komm spielen.« Ich wartete einen Moment. Dann zuckte ich die Achseln. »Komisch, ich kann sie gar nicht sehen.«
»Sie wird nicht kommen, wenn du da bist.«
»Wie praktisch.«
Katies Augen waren dunkel und streitlustig. »Ich sage dir, daß ich Hannah seit ihrem Tod weiter sehe. Ich höre sie reden, wenn der Wind aufkommt. Und ich sehe sie Schlittschuh laufen. Sie ist real.«
»Erwartest du wirklich, daß ich das glaube? Daß ich denke, du bist hierhergekommen, weil du an Geister glaubst?«
»Ich glaube an Hannah«, stellte Katie klar.
Ich seufzte. »Mir scheint, du glaubst an viele Dinge, die nicht unbedingt wahr sein müssen. Komm zurück ins Bett, Katie«, sagte ich und ging, ohne abzuwarten, ob sie auch mitkam.
Sobald Katie eingeschlafen war, schlich ich auf Zehenspitzen mit meiner Tasche aus dem Zimmer. Draußen auf der Veranda holte ich mein Handy heraus. Komischerweise hatte man in Lancaster County einen recht guten Empfang – einige der fortschrittlicheren Amischen waren einverstanden gewesen, daß auf ihrem Land Sendetürme errichtet wurden, gegen eine Gebühr, so daß sie es sich leisten konnten, kein Wintergetreide anzubauen. Ich tippte eine Nummer ein und wartete auf eine vertraute, verschlafene Stimme.
»Ja?«
»Coop, ich bin’s.«
Ich konnte förmlich sehen, wie er sich im Bett aufsetzte, wie die Decke runterrutschte. »Ellie? Meine Güte! Nach – wie vielen Jahren? Zwei? … Rufst du mich um … großer Gott, haben wir drei Uhr morgens?«
»Halb drei.« Ich kannte John Joseph Cooper IV seit fast zwanzig Jahren, seit wir zusammen studiert hatten. Ganz gleich, wie spät es war, er würde murren – und mir dann verzeihen. »Hör mal, ich brauch deine Hilfe.«
»Ach, du rufst mich also nicht nachts um drei an, um einfach mal hallo zu sagen?«
»Du wirst es nicht glauben, aber ich wohne zur Zeit im Haus einer amischen Familie.«
»Ha, ich hab’s doch gewußt. Du bist nie wirklich über mich hinweggekommen und hast jetzt alles aufgegeben, um ein einfaches Leben zu führen.«
Ich lachte. »Coop, ich bin vor einem Jahrzehnt über dich hinweggekommen. Ungefähr um die Zeit, als du geheiratet hast, genauer gesagt. Ich bin hier, weil das zu den Kautionsbedingungen für eine Mandantin gehört. Sie soll ihr neugeborenes Kind ermordet haben. Ich möchte, daß du dir ein Bild von ihr machst.«
Er atmete langsam aus. »Ich bin kein forensischer Psychiater, Ellie. Ich bin bloß ein ganz normaler Seelenklempner.«
»Ich weiß, aber … na ja, ich vertrau dir. Und es muß inoffiziell bleiben. Ist nur so ein Versuch, bevor ich entscheide, wie ich sie da raushole.«
»Du vertraust mir?«
Ich hielt die Luft an, erinnerte mich. »Na ja. Mehr oder weniger. Mehr, wenn es nicht um mich geht.«
Coop überlegte. »Kannst du sie Montag herbringen?«
»Mhm, nein. Sie darf die Farm nicht verlassen.«
»Ich soll einen Hausbesuch machen?«
»Einen Farmbesuch, wenn du das lieber hörst.«
Ich konnte mir vorstellen, wie er die Augen schloß und sich zurück aufs Kissen fallen ließ. Sag einfach ja, flehte ich lautlos. »Ich könnte meine Termine so umlegen, daß ich Mittwoch Zeit hätte, frühestens«, sagte Coop.
»Das reicht.«
»Meinst du, die lassen mich mal eine Kuh melken?«
»Ich werd sehen, was sich machen läßt.«
Ich konnte sein Lächeln sehen, selbst über die vielen Meilen hinweg. »Ellie«, sagte er, »ich komme vorbei.«
5
A aron kam eilig in die Küche und setzte sich an den Tisch, während Sarah eine Tasse Kaffee vor ihn hinstellte. »Wo ist Katie?« fragte er stirnrunzelnd.
»Sie schläft noch. Ich wollte sie noch nicht wecken.«
»Noch nicht? Es ist G’meesunndaag . Wir müssen los, sonst kommen wir zu spät.«
Sarah legte beide Hände auf die Arbeitsplatte, hob den Kopf und setzte an, Aaron zu widersprechen, etwas, das sie im Verlauf ihrer Ehe so selten getan hatte, daß sie sich an jedes einzelne Mal erinnern konnte. »Ich finde, Katie sollte heute nicht mit zum Gottesdienst kommen.«
Aaron stellte seine Tasse ab. »Natürlich
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