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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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ihres Kindes noch leugnen, bevor sie zusammenbrach?
    Die Bank knarrte, als eine massige, ältere Frau neben mir Platz nahm. Ihr Gesicht war von feinen Linien durchzogen, ihre Hände schwer und an den Knöcheln geschwollen. Sie trug die gleiche schwarze Hornbrille wie mein Großvater in den fünfziger Jahren. »Und Sie«, sagte sie, »sind also das nette Anwaltsmädchen.«
    Die wenigen Male in meiner Karriere, daß jemand die Worte nett und Anwalt in ein und demselben Satz verwendet hatte, konnte ich an einer Hand abzählen. Und noch seltener hatte mich – mit neununddreißig Jahren – jemand als Mädchen bezeichnet. Ich lächelte. »Ja, genau.«
    Sie griff über ihren Teller hinweg und tätschelte meine Hand. »Wissen Sie, wir schätzen Sie sehr. Weil Sie sich so für unsere Katie einsetzen.«
    »Vielen Dank. Aber das ist mein Beruf.«
    »Nein, nein.« Die Frau schüttelte den Kopf. »Das ist Ihr Herz.«
    Ich wußte nicht, was ich darauf erwidern sollte. Es ging darum, für Katie einen Freispruch zu erwirken, und das hatte so gut wie nichts mit meiner Meinung von ihr zu tun. »Wenn Sie mich entschuldigen würden«, sagte ich und stand auf, um mich zurückzuziehen. Aber kaum hatte ich mich umgedreht, stieß ich auch schon mit Aaron zusammen.
    »Wenn Sie einen Moment mit uns kommen würden«, sagte er und deutete auf den Bischof neben sich, »können wir über die Angelegenheit von heute morgen sprechen.«
    Wir gingen zu einem ruhigen Plätzchen im Schatten der Scheune. »Aaron hat mir erzählt, daß Sie ein Problem mit Ihrem Fall haben«, begann Ephram.
    »Ich würde nicht sagen, daß es ein Problem mit dem Fall ist. Eher ein Problem mit der Logistik. Verstehen Sie, für meine Arbeit ist es unerläßlich, daß ich gewisse technische Möglichkeiten nutzen kann. Ich brauche das notwendige Rüstzeug, um Anträge vorzubereiten, die ich dem Richter schicke, und schriftliche Zeugenaussagen, die später erforderlich werden. Wenn ich dem Richter einen handschriftlichen juristischen Text vorlege, wird er mich auslachen und aus dem Gericht jagen – gleich nachdem er Katie ins Gefängnis gesteckt hat, mit der Begründung, daß die Kautionsbedingungen nicht umsetzbar sind.«
    »Sie möchten also einen Computer benutzen?«
    »Ja, das vor allem. Meiner läuft auch mit einem Akku, aber der ist leer.«
    »Können Sie sich nicht mehr von diesen Akkus besorgen?«
    »Nicht hier im nächstgelegenen Kramladen«, sagte ich. »Außerdem sind die Dinger teuer. Ich könnte ihn wieder aufladen, aber dafür brauche ich eine Steckdose.«
    »Ich dulde keine Steckdose in meinem Haus«, schaltete Aaron sich ein.
    »Ja, aber ich kann auch nicht in die Stadt fahren, den Akku acht Stunden aufladen und Katie die ganze Zeit hier allein lassen.«
    Der Bischof streichelte seinen langen, grauen Bart. »Aaron, weißt du noch, als Polly und Joseph Zooks Sohn Asthma hatte? Weißt du noch, wie wichtig es war, daß das Kind Sauerstoff bekam? Da konnten wir uns auch nicht genau an den Wortlaut der Ordnung halten. Ich denke, das hier ist ein ähnlicher Fall.«
    »Ganz und gar nicht«, widersprach Aaron. »Es geht nicht um Leben oder Tod.«
    »Da fragen Sie aber mal Ihre Tochter«, konterte ich.
    Der Bischof hob beide Hände. In diesem Augenblick sah er genauso aus wie jeder Richter, vor dem ich je in einem Gerichtssaal gestanden hatte. »Der Computer gehört nicht dir, Aaron, und ich zweifle nicht an deinem treuen Festhalten an unserer Lebensart. Aber wie ich damals auch zu den Zooks sagte, der Zweck heiligt in diesem Fall die Mittel. Solange unsere Anwältin es braucht, werde ich einen Transformator auf dieser Farm erlauben, der nur von Miss Hathaway zur Stromgewinnung benutzt werden darf.«
    »Einen Transformator?«
    Er wandte sich mir zu. »Transformatoren wandeln Zwölf-Volt-Strom in hundertzehn Volt um. Unsere Geschäftsleute benutzen sie für ihre elektronischen Kassen. Wir können keinen Strom direkt vom Generator benutzen, aber ein Transformator läuft mit einer Batterie, was nach den Regeln der Ordnung erlaubt ist. Die meisten Familien besitzen keinen Transformator, weil die Versuchung zu groß wäre. Verstehen Sie, die Elektrizität geht vom Dieselmotor zum Generator, zur Zwölf-Volt-Batterie, zum Transformator, zu allen möglichen Geräten – beispielsweise Ihrem Computer.«
    Aaron blickte entsetzt. »Die Ordnung verbietet Computer. Und Transformatoren sind eine Versuchung«, wandte er ein. »Man könnte eine elektrische Glühbirne daran

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