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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Kind, das ich vor dem Richter gesehen hatte, als ich den Gerichtssaal betrat, dem Kind, das bereit gewesen war, das Rechtssystem wie eine Walze über sich hinwegrollen zu lassen, statt sich zu verteidigen.
    »Die Sache ist die«, sagte Ephram spürbar beklommen. »Wir wissen, wie schwierig die Situation im Augenblick ist und daß sie nur noch unübersichtlicher werden wird. Aber es hat nun mal ein Baby gegeben, Katie, und du bist nicht verheiratet … und, na ja, du mußt vor der Gemeinde Rechenschaft ablegen.«
    Katie neigte kaum merklich den Kopf.
    Die beiden Männer nickten mir zu und schritten wieder davon. Katie brauchte dreißig Sekunden, bis sie sich wieder in der Gewalt hatte, aber ihr Gesicht war so bleich wie der Mond. »Was sollte das heißen?« fragte ich.
    »Sie wollen, daß ich meine Sünde bekenne.«
    »Welche Sünde?«
    »Ein uneheliches Kind empfangen zu haben.« Sie ging los, und ich hatte Mühe, mit ihr Schritt zu halten.
    »Und was willst du tun?«
    »Bekennen«, sagte Katie leise. »Was bleibt mir anderes übrig?«
    Verblüfft drehte ich mich um und stellte mich ihr in den Weg. »Du könntest ihnen zum Beispiel das erzählen, was du mir erzählt hast. Daß du kein Kind bekommen hast.«
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Das könnte ich ihnen nicht sagen; das könnte ich nicht.«
    »Wieso nicht?«
    Katie schüttelte den Kopf, ihre Wangen glühten. Sie rannte in das wogende Meer aus Mais.
    »Wieso nicht?« schrie ich ihr nach und blieb frustriert stehen.
    Die Männer, die den Transformator brachten, bauten ihn im Stall für mich auf. Er wurde an den Generator neben den Verschlägen für die trächtigen Kühe angeschlossen, und von dort hatte ich einen hübschen Blick auf das Polizeiband, das dort noch immer gespannt war. Kurz nach vier Uhr nachmittags trug ich meine Unterlagen und meinen Laptop hinaus in den Stall und fing an, mich wie eine Anwältin zu verhalten.
    Levi, Samuel und Aaron waren dabei, die Kühe zu melken. Anscheinend war Levi immer nur die Knochenarbeit vorbehalten – Mist fahren, Getreide schaufeln –, während die beiden älteren Männer das Euter jeder Kuh mit Papier abwischten, das wie herausgerissene Telefonbuchseiten aussah, und sie dann paarweise an die Saugpumpe anschlossen, die von demselben Generator betrieben wurde, der indirekt auch meinen Computer mit Strom versorgte. Dann und wann trug Aaron einen Behälter in die Milchkammer und entleerte ihn in den großen Tank.
    Ich sah ihnen eine Weile zu, fasziniert von ihren fließenden, routinierten Bewegungen und der Sanftheit ihrer Hände, wenn sie einen Kuhbauch streichelten oder ein Tier am Ohr kraulten. Lächelnd schloß ich meinen Laptop an und schaltete ihn ein.
    Ich griff nach einem der Ordner, die mir die Staatsanwaltschaft geschickt hatte, und schlug ihn auf dem Heu auf. Während ich ihn durchblätterte, versuchte ich, im Kopf einen Antrag auf Übernahme der Kosten für ein psychiatrisches Gutachten zu formulieren.
    Als ich aufschaute, starrte Levi mit offenem Mund durch den Stall hinweg meinen Laptop an, seine Schaufel in der Hand, bis Samuel zu ihm trat und ihn anschubste. Doch dann blickte Samuel selbst in meine Richtung, und seine Augen weiteten sich vor Staunen.
    Aaron Fisher würdigte mich keines einzigen Blickes.
    Am Ende der Stallgasse brüllte eine Kuh. Der Duft von süßem Heu und noch süßerem Futter kitzelte mich in der Nase. Die Geräusche der Melkmaschine wurden zum Hintergrundrhythmus. Ich schaltete von der Welt um mich herum ab, konzentrierte mich und begann zu tippen.

7
D er breite Lichtstrahl glitt über ihre Beine, wanderte die Wand hinauf und über die Zimmerdecke. Katie stützte sich mit pochendem Herzen auf die Ellbogen. Ellie schlief; das war gut so. Sie kroch aus dem Bett und sah aus dem Fenster. Zuerst erkannte sie nichts. Dann nahm Samuel seinen Hut ab, und das Mondlicht fiel auf sein helles Haar. Katie atmete tief durch, schlüpfte in ihre Kleider und eilte nach draußen.
    Er schaltete die Taschenlampe sofort aus, als Katie aus der Tür trat, nahm sie in die Arme und preßte seine Lippen auf ihren Mund, fest. Katie erstarrte – noch nie hatte er so entschlossen die Initiative ergriffen –, und sie schob eine Hand zwischen sich und ihn, um Distanz herzustellen. »Samuel!« sagte sie, und sofort trat er einen Schritt zurück.
    »Es tut mir leid«, stammelte Samuel. »Wirklich. Ich hatte bloß das Gefühl, als würdest du dich immer mehr

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