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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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    Ephram lächelte. »Man könnte … aber Aaron, das würdest du nie tun. Ich lasse Miss Hathaway heute noch einen Transformator bringen.«
    Deutlich verstimmt wandte Aaron den Blick ab. Ich war zwar verblüfft über die soeben getroffene Absprache, aber auch dankbar. »Das wird mir sehr helfen.«
    Die warmen Hände des Bischofs umfaßten meine, und einen Augenblick lang fühlte ich mich völlig geborgen. »Sie haben einiges für uns in Kauf genommen, Miss Hathaway«, sagte Ephram. »Haben Sie gedacht, wir wären nicht bereit, für Sie ähnliche Kompromisse einzugehen?«
    Ich weiß nicht, warum der Gedanke, elektrischen Strom auf die Fisher-Farm zu holen, mich so nervös machte, als wäre ich Eva, die mit verführerischem Lächeln den berühmten Apfel darbot. Schließlich würde ich Katie ja nicht gleich in der Scheune beim Nintendo-Spielen erwischen. Vermutlich würde der Transformator nur Staub ansetzen, wenn ich nicht gerade meinen Laptop brauchte. Trotzdem verließ ich nach der Entscheidung des Bischofs das Haus und schlenderte ziellos umher.
    Ich hörte Katies Stimme, bevor mir überhaupt bewußt war, daß ich zum Teich gewandert war. Sie saß zwischen zwei hohen Schilfgrasbüschen, fast versteckt, die nackten Füße ins Wasser getaucht. »Ich guck ja«, sagte sie, die Augen auf eine Stelle in der Mitte des Teiches gerichtet, wo absolut nichts zu sehen war. Sie lächelte und klatschte in die Hände, ein Einpersonenpublikum für eine Darbietung ihrer eigenen Phantasie.
    Okay, vielleicht war sie ja wirklich verrückt.
    »Katie«, sagte ich leise, und sie erschrak. Sie sprang auf und spritzte mich dabei naß.
    »Oh, tut mir leid!«
    »Es ist heiß. Ich könnte eine Abkühlung gebrauchen.« Ich setzte mich auf die Bank. »Mit wem hast du geredet?«
    Ihre Wangen glühten. »Mit niemandem. Nur mit mir selbst.«
    »Wieder mal deine Schwester?«
    Katie seufzte, nickte dann. »Sie läuft Schlittschuh.«
    »Sie läuft Schlittschuh«, wiederholte ich tonlos.
    »Ja, ungefähr fünfzehn Zentimeter über dem Wasserspiegel.«
    »Verstehe. Hat sie keine Schwierigkeiten, so ganz ohne Eis?«
    »Nein. Sie weiß ja nicht, daß Sommer ist. Sie tut nur das, was sie getan hat, bevor sie starb.« Ihre Stimme wurde zu einem Flüstern. »Sie scheint mich auch nicht zu hören.«
    Ich betrachtete Katie einen Moment lang. Ihre Kapp saß leicht schief, herausgerutschte Haarsträhnen ringelten sich um ihre Ohren. Sie hatte die Knie hochgezogen und ihre Arme locker darum geschlungen. Sie war nicht aufgeregt oder durcheinander. Sie starrte einfach nur hinaus auf den Teich, auf ihre angebliche Vision.
    Ich knickte einen Schilfhalm ab und drehte den Stengel zwischen den Händen. »Was ich nicht verstehe, ist, wie du etwas glauben kannst, das nicht mal zu sehen ist, dich aber hartnäckig weigerst, etwas zu glauben, von dem andere Menschen – Ärzte und Gerichtsmediziner und, du lieber Himmel, sogar deine Eltern – mit Sicherheit wissen, daß es passiert ist.«
    Katie hob das Gesicht. »Aber ich kann Hannah sehen, ganz deutlich, mit ihrem Schal und dem grünen Kleid und den Schlittschuhen, die sie von mir geerbt hat. Und dieses Baby habe ich nie gesehen, erst als es schon im Stall war, eingewickelt und tot.« Ihre Stirn legte sich in Falten. »Was würdest du eher glauben?«
    Bevor ich antworten konnte, tauchte Ephram mit dem Diakon auf. »Miss Hathaway«, sagte der Bischof, »Lucas und ich müssen einen Moment mit unserer jungen Schwester hier sprechen.«
    Trotz des Abstandes zwischen uns konnte ich spüren, daß Katie anfing zu zittern, und den beißenden Geruch der Angst riechen, der aus ihrer Haut drang. Sie zitterte noch heftiger als vor Gericht, als sie wegen Mordes angeklagt wurde. Ihre Hand wanderte über das dichte Gras, suchte meine und hielt sie fest. »Ich hätte gerne, daß meine Anwältin dabei ist«, flüsterte sie kaum hörbar.
    Der Bischof blickte erstaunt. »Aber, Katie, warum denn das?«
    Sie konnte den alten Mann nicht einmal ansehen. »Bitte«, hauchte sie und schluckte dann trocken.
    Der Diakon und der Bischof wechselten einen Blick, und dann nickte Ephram. Das angsterfüllte Wesen neben mir hatte nichts mit der jungen Frau gemein, die mir in die Augen gesehen und gesagt hatte, daß sie nicht schwanger gewesen war. Es hatte nichts mit dem Mädchen gemein, das mir noch vor wenigen Minuten erzählt hatte, daß das, was für den einen sichtbar ist, für den anderen alles andere als glasklar sein muß. Aber es

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