Die einzige Wahrheit
wurde.
Ich reichte Owen die Hand und lächelte. »Trotzdem vielen Dank«, sagte ich.
Am Samstag abend ging ich gegen zehn Uhr nach oben. Ich duschte und dachte dabei an Coop, fragte mich, was er wohl gerade machte – war er im Kino? Aß er in einem teuren Restaurant? Ich fragte mich gerade, ob er noch immer ein T-shirt und Boxershorts im Bett trug, als Katie hereinkam. »Was ist los mit dir?« fragte sie und sah mir prüfend ins Gesicht.
»Nichts.«
Katie zuckte die Achseln und gähnte. »Ich bin müde«, sagte sie, aber ihre Augen leuchteten. Als ich das Licht ausschaltete, schlüpfte sie unter die Decke, komplett angezogen.
»Wohin willst du dich verdrücken?« fragte ich in die Dunkelheit.
Sie war völlig überrumpelt.
»Berichtigung«, sagte ich. »Wohin wollen wir uns verdrücken?«
Katie setzte sich auf. »Samstags abends kommt Samuel«, gestand sie. »Wir unterhalten uns.«
Nun ja, was »unterhalten« auch alles bedeutete, Sex jedenfalls nicht, wie ich inzwischen wußte. Katie war verlegen, weil bei den Amischen ein Rendezvous grundsätzlich Privatsache war, und aus einem mir unerfindlichen Grund gaben sich amische Jugendliche die allergrößte Mühe, so zu tun, als würden sie sich überhaupt nie mit ihrem Freund oder ihrer Freundin treffen.
Katies Augen glimmten im Dunkeln, den Blick aufs Fenster gerichtet. Ich wußte nicht, wie ich ihr beibringen sollte, daß Samuel angesichts der Umstände vielleicht nicht kommen würde. Daß das Baby so manches geändert hatte.
Ich fiel in einen unruhigen Schlaf, wartete darauf, den Strahl von Samuels Taschenlampe zu sehen. Um Mitternacht lag Katie noch immer wach im Bett. Um Viertel nach zwei stand sie auf und setzte sich in den Schaukelstuhl am Fenster. Um halb vier kniete ich mich neben sie. »Er wird nicht mehr kommen, Kleines«, flüsterte ich. »In weniger als einer Stunde muß er zum Melken.«
Katie erhob sich steif und ging zum Bett. Sie setzte sich und fuhr gedankenverloren mit der Hand über das Muster des Quilts. Ihr wurde gerade klar, daß ihr Leben nie mehr so sein würde, wie es einmal war.
Sie schwieg lange, dann sprach sie, und ihre Stimme erhob sich wie eine dünne Rauchfahne. »Wenn man einen Quilt macht, kann ein falscher Stich alles verderben.« Katie sah mich an. »Man zieht dran«, hauchte sie, »und alles löst sich auf.«
Aaron und Sarah nutzten den Sonntag, um Freunde und Verwandte zu besuchen, aber Katie und ich erledigten zuerst unsere Arbeiten im Haus und gingen dann zum Angeln an den Bach.
Dank des Regens der letzten Tage hatte der Bach eine starke Strömung. Katie setzte sich an den Rand, holte einen Wurm aus dem Glas und griff nach einer Angel. »Wenn Jacob und ich um die Wette geangelt haben, hab ich immer den größten – Aua!« Sie riß die Hand zurück und steckte sich den Daumen in den Mund, um das Blut abzulecken.
»Du bist übermüdet.« Sie senkte den Blick. »Du hast also die ganze Nacht auf ihn gewartet. Na und?« Ich griff nach einem Wurm, schluckte kurz und spießte ihn auf den Haken. »Als ich so alt war wie du, hat mich der Junge, der mit mir zum Schulabschlußball gehen wollte, versetzt. Ich hatte für hundertfünfzig Dollar ein trägerloses Kleid gekauft, das nicht etwa beige oder cremefarben war, o nein, es war ekrü , und ich saß in meinem Zimmer und hab darauf gewartet, daß Eddie Bernstein mich abholt. Wie sich herausstellte, hatte er gleich zwei Mädchen gefragt, ob sie mit ihm auf den Ball gehen wollten, und er dachte wohl, daß er Sue LeClare leichter flachlegen könnte.«
»Flachlegen?«
Ich räusperte mich. »Äh, das ist so ein Ausdruck für mit jemandem schlafen.«
Katies Augenbrauen schnellten in die Höhe. »Ach so.«
Verlegen tauchte ich meine Angelschnur ins Wasser.
»Hast du ihn geliebt? Diesen Eddie Bernstein?«
»Nein. Verliebt habe ich mich erst, als ich aufs College ging.«
»Wieso hast du dann nicht geheiratet?«
»Einundzwanzig ist doch noch ein bißchen jung zum Heiraten. Die meisten Frauen möchten lieber erst mal ein bißchen Zeit für sich haben, bevor sie sich auf Ehe und Kinder einlassen. Und als ich schließlich bereit gewesen wäre, standen meine Chancen leider schon wesentlich schlechter.«
»Was ist mit Dr. Cooper?«
Die Angel fiel mir aus den Händen, und ich hob sie rasch wieder auf. »Was soll mit ihm sein?«
»Er mag dich, und du magst ihn.«
»Natürlich. Wir sind Freunde.«
Katie schnaubte. »Mein Vater hat auch Freunde, aber er setzt sich nicht dicht
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