Die einzige Wahrheit
als Ellie sich von Coop seine Sitzungen mit Katie schildern ließ, redete sie sich ein, daß ihr nichts fehlte.
Coop entging nicht, daß Ellie über weit mehr nachdachte, während sie Katies Eingeständnis der Schwangerschaft analysierte. »Hat sie geweint?«
»Ja«, erwiderte Coop.
»Das wäre ein Beweis für Reue.«
»Sie hat geweint, aber nicht um das Baby – sondern weil sie sich in solche Schwierigkeiten gebracht hat. Außerdem hat sie immer noch keine Erinnerung daran, wie sie schwanger geworden ist. Und statt einer Geburt schildert sie göttliches Eingreifen.«
Ellie lächelte schwach. »Na, das wäre mal eine ganz neue Verteidigung.«
»Du solltest noch nicht gleich eine Siegesfeier veranstalten. Sie hat eine Schwangerschaft geheimgehalten, und heute hat sie sie zugegeben. Das Ganze ist fragwürdig. Es kommt oft vor, daß Amnesieopfer falsche Erinnerungen entwickeln – die Geschichte, die sie aus der Presse erfahren haben oder von Verwandten. Und was noch schlimmer ist, sobald sie diese neue Geschichte erzählen, glauben sie felsenfest daran, obwohl sie vielleicht gar nicht stimmt. Nehmen wir mal an, daß Katie aufrichtig ist und sich nur nicht daran erinnern konnte, schwanger gewesen zu sein. Vielleicht folgen ja jetzt weitere Geständnisse, weil ihr Verdrängungsmechanismus kollabiert. Aber vielleicht auch nicht. Was heute passiert ist, ist in therapeutischer Hinsicht gut für Katie, aber nicht unbedingt hilfreich für dich und deine Verteidigung – kein Mensch hat je daran gezweifelt, daß sie dieses Kind bekommen hat, keiner außer Katie. Und eine Schwangerschaft zu verbergen ist nicht normal, aber auch nicht ungesetzlich.«
»Ich weiß, warum sie vor Gericht steht«, zischte Ellie.
»Ich weiß, daß du es weißt«, sagte Coop. »Aber weiß sie es auch?«
Adam stand hinter ihr, seine Hände um ihre auf den Wünschelruten geschlossen. »Bist du bereit?« flüsterte er, und im selben Moment ertönte der Schrei einer Schleiereule. Sie traten vor, gingen um den Teich herum, und ihre Schuhe knirschten auf dem trockenen Gras. Katie konnte Adams Herz klopfen hören, und sie fragte sich, warum er so angespannt war, fragte sich, was um alles in der Welt er denn wohl zu verlieren hatte.
Die Ruten begannen zu wippen und zu zucken, und unwillkürlich wich Katie zurück gegen Adam. Er murmelte etwas, das sie nicht verstand, und gemeinsam hielten sie die Ruten krampfhaft fest. »Nimm mich mit dahin zurück«, sagte er, und Katie schloß die Augen.
Sie stellte sich vor, wie kalt es an dem Tag gewesen war, so kalt, daß ihr die Nase wehtat und ihre Finger beim Zubinden der Schlittschuhe ganz rot wurden. Sie stellte sich vor, wie Hannah gejauchzt hatte, als sie lossauste bis zur Mitte des Teichs, ihr Schal hinter ihr herflatternd. Sie stellte sich das leuchtendblonde Haar ihrer Schwester vor, das durch die Kapp hindurchschimmerte. Aber am genauesten erinnerte sie sich an Hannahs Hand in ihrer eigenen, als sie den rutschigen Hügel zum Teich hinuntergingen, klein und warm und voller Vertrauen, daß Katie sie vor einem Sturz bewahren würde.
Der Druck auf die Wünschelruten hörte auf, und als Adam nach Luft schnappte, öffnete Katie die Augen. »Sie sieht genauso aus wie du«, flüsterte er.
Hannah glitt auf Schlittschuhen von ihnen weg, kurvte etwa fünfzehn Zentimeter über der Wasserfläche. »Das Wasser stand damals höher«, sagte Adam, »deshalb scheint sie zu schweben.«
»Du siehst sie«, murmelte Katie, und sie war froh. Sie ließ die Wünschelruten fallen und schlang ihre Arme um Adam. »Du kannst meine Schwester sehen!« Doch dann wurde sie mißtrauisch. »Welche Farbe haben ihre Schlittschuhe?«
»Schwarz. Und sie sehen aus, als wären sie schon von anderen getragen worden.«
»Und ihr Kleid?«
»Eine Art Grün. Hell, wie Waldmeister.«
Adam führte sie zu der Bank am Teich. »Erzähl mir, was damals passiert ist.«
Katie erzählte ihm von Jacobs Rückzug in den Stall, die Pailletten auf dem Kleid der Eiskunstläuferin, von dem sie geträumt hatte, das Kratzen von Hannahs Schlittschuhen über die dünnen Stellen im Eis. »Ich sollte auf sie aufpassen, und statt dessen hab ich bloß an mich gedacht«, sagte sie schließlich elend. »Es war meine Schuld.«
»Das darfst du nicht denken. Es war etwas Schreckliches, das einfach passiert ist.« Er berührte Katies Wange. »Sieh sie dir an. Sie ist glücklich. Das spürt man.«
Katie hob den Blick. »Du hast mir doch immer erzählt, daß
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