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Die einzige Zeugin

Die einzige Zeugin

Titel: Die einzige Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Cassidy
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frei, aber er hat sich neben mich gesetzt!«
    Lauren konnte sich Julie und Ryan einfach nicht zusammen vorstellen. Es passte einfach nicht. Ryan würde mit irgendeinem Klonmädchen enden. Mit teuren Jeans und Sneakers, einem Markentop, hochgepushten Brüsten und Tonnen von Goldschmuck. Sie könnte schwarz sein oder weiß, aber sie würde aussehen wie Hunderte anderer Mädchen.
    »Hey! Schau mal, der Typ an der Bar!«, flüsterte Julie, laut genug, dass man es am Nachbartisch hören konnte.
    Da Lauren sich nicht umdrehte, fing Julie an, von ein paar Leuten aus ihrer Klasse zu reden. Lauren fragte sich, was sie wohl von ihr halten mochten. Sie war siebzehn, aber Julie behauptete, sie laufe herum wie ein zehnjähriges Mädchen, das lieber ein Junge wäre. Was das genau heißen sollte, wusste sie nicht. Sie hatte nicht viele Klamotten, sie interessierte sich einfach nicht dafür. Als sie nach London kamen, trug sie Jeans und Stiefel und einen zu großen Kapuzenpulli, dessen Ärmel ihr über die Hände hingen. Als es wärmer wurde, hatte sie ein paar T-Shirts gekauft. Sie mochte Männersachen, schön weit und locker, mit zu langen Ärmeln, in denen sie die Hände verstecken konnte. Sie hatte keine Röcke oder Kleider. Sie hatte keine Schuhe mit Absätzen. Julie sagte auch, dass ihre Haare krass nach Mittelalter aussahen. Du siehst aus wie Opheli a, sagte sie und zeigte ihr ein Gemälde von Millais. Eine Frau, die auf dem Rücken im Wasser lag und von ihrem schwarzen Haar umhüllt war. Sie hatte nur gelacht. Sie kümmerte sich nicht darum. Ihre Haare waren einfach da. Julie fragte sie die ganze Zeit, ob sie es nicht schneiden oder färben oder hochstecken dürfe. Julie mit ihrem anarchischen Look sagte, dass Lauren dringend ein komplett neues Styling bräuchte. Vielleicht war das auch ein Grund, warum Julie sich für sie interessierte. Sie sah das Mädchen aus Cornwall als Projekt.
    »Jetzt guck doch mal, der Typ kommt hierher!«, flüsterte Julie.
    Lauren machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen. Wenn der Typ gut aussah, würde er sowieso nur Augen für Julie haben. Sie war eine große bunte luftige Blume, und Lauren war eine kleine Margerite in ihrem Schatten.
    »Hey, wir kennen uns doch! Wegen dir habe ich meine Zwiebeln fallen lassen.«
    Lauren drehte sich um. Es war der Typ mit der gestärkten Schürze. Sie kannte ihn. Er hatte sich die Haare schneiden lassen und sah in seiner Arbeitskleidung ganz anders aus, aber sie erkannte ihn. Es war der Junge aus der Hazelwood Road 49.
    »Zwiebeln fallen lassen?«, sagte Julie mit einem schelmischen Blick. »Ist das ein geheimer Code? Vielleicht eine Metapher?«
    Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu ihnen. In der Hand hatte er ein Glas mit einem Strohhalm.
    »Wir sind auf der Straße zusammengestoßen, und mir sind meine Einkaufstüten auf den Boden gefallen. Und dann hat sie mir noch nicht mal verraten, wie sie heißt. Ganz schön unhöflich, was?«
    »Oh, lass mich vorstellen«, sagte Julie. »Das ist Lauren Ashe aus Cornwall. Und ich bin Julie Bell aus der Roman Road.«
    »Julie, Lauren, freut mich. Ich bin Nathan. Nathan Reddick«, sagte er.
    »Upps, ich muss los«, sagte Julie unvermittelt und stand auf. Sie warf Lauren einen Blick mit hochgezogenen Augenbrauen zu.
    »Warte, ich komme mit«, sagte Lauren.
    »Nein, bleib hier. Ich gehe noch kurz zur Toilette. Wir sehen uns gleich draußen.«
    Julie glitt um den Tisch herum und war in Sekunden verschwunden. Nathan rutschte auf ihren Platz. Dann sah er sie direkt an. Sie sah weg und ließ den Blick durchs Café streifen. Vorher aber bemerkte sie noch, dass er braune Augen hatte und sein Haar über der Stirn von der Sonne hellere Strähnen hatte.
    »Musst du nicht arbeiten?«, fragte sie.
    »Ich habe Pause.«
    Lauren fühlte sich unwohl. Sie konnte einfach aufstehen und gehen. Sie kannte ihn gar nicht. Sie war nicht verpflichtet, höflich zu ihm zu sein. Sie zog eine Haarsträhne aus ihrem Zopf und wickelte sie um den Finger. Dann wurde das Schweigen so peinlich, dass sie etwas sagen musste.
    »Die Zwiebeln haben es also überlebt?«
    Er grinste ganz plötzlich von einem Ohr zum andern. An seinem linken Schneidezahn fehlte ein winziges Stückchen.
    »Einige mussten noch in Therapie«, sagte er ernst.
    Eine Sekunde lang war sie verwirrt. Dann musste sie laut lachen. Das Gelächter sprudelte unerwartet aus ihr heraus. Nathan nahm einen Schluck aus seinem Glas und sah zufrieden aus.
    »Warum hast du dir unser Haus

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